Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verschwörung in Florenz

Verschwörung in Florenz

Titel: Verschwörung in Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
Vom Netzwerk:
Urlaub.
    In der Kathedrale war es angenehm kühl, und das Halbdunkel tat gut. Ihre Augen brannten. Weshalb, das hatte sie vergessen. Vielleicht lag es am Sonnenlicht dort draußen auf den staubbedeckten Straßen. Langsam und ziellos schlenderte sie zwischen den mächtigen Säulen hindurch und betrachtete die Gemälde in den Nischen. Es waren alte Bilder, Bilder aus einer Zeit, in der nur ein geringer Prozentsatz der Bevölkerung lesen konnte und die Bilder in den Kirchen – Gemälde und Glasfenster – dazu dienten, dem einfachen Volk die Geschichten der Bibel und der Heiligen zu erzählen. Dann entdeckte sie eine Treppe, die nach unten führte. Neugierig trat sie an das zierliche Eisengeländer und sah in die Tiefe hinab. Und im selben Augenblick wusste sie, dass sie deswegen hierher gekommen war – um dort hinunterzugehen. Zögernd stieg sie die schmalen ausgetretenen Stufen hinab. Bei jedem Schritt klopfte ihr Herz schneller. Was auch immer dort unten war, sie wollte es eigentlich nicht wissen. Und trotzdem konnte sie sich nicht dagegen wehren, als ob ein fremder, unnachgiebiger Wille sie lenken würde. Sie musste hinuntersteigen. Sie musste sich das ansehen, was dort unten in dieser Kirche verborgen war.
    Sie stand in einem niedrigen weiß gestrichenen Gewölbe. Rechts und links lagen dicht nebeneinander Steinplatten in niedrigen Nischen. Sie lagen dort wie Kojen in einem U-Boot. Doch es waren keine Schlafplätze für Christen, die sich vor den Römern, den Mauren oder einem anderen Feind verstecken mussten. Es waren Gräber. Unzählige Gräber. Sie war in die Welt der Toten eingedrungen.
    Es war still, so still, dass sie deutlich das Summen der nackten Neonröhren hören konnte, die in gleichmäßigen Abständen den Weg ausleuchteten und mit ihrem kalten grellen Licht alles nur noch unwirklicher erscheinen ließen. Doch auch diese Gräber waren nicht der Grund, weshalb sie hierher gekommen war. Gedankenverloren, als würde sie wie eine Marionette von unsichtbaren Fäden gelenkt, drang Anne immer tiefer in die Katakomben ein, bis sie schließlich vor einer Gruft stand. Sie war größer als die anderen Nischen und zweigte vom Gang ab. Ihr Herz begann heftig zu klopfen, Schweiß trat in kleinen Perlen auf ihre Stirn. Sie war am Ziel, diese Gruft hatte sie gesucht. Und sosehr sie sich auch fürchtete, sosehr sie sich dagegen sträubte, sie konnte nicht anders und betrat die Krypta mit zitternden Knien.
    Die Krypta war klein und gerade eben so hoch, dass Anne ohne Schwierigkeiten aufrecht stehen konnte. Das strahlende Weiß der Wände und Decken stach schmerzhaft in die Augen, obwohl sie nirgendwo eine Lichtquelle entdecken konnte. Die Gruft enthielt lediglich ein einziges Grab. Anne begann zu frieren, als ob die schmucklose Grabplatte nicht aus aschgrauem Marmor, sondern aus Eis bestünde. Ihr Atem gefror zu kleinen Wolken, und doch wusste sie, dass es sich nicht um körperliche Kälte handelte. In diesem Raum herrschte dieselbe Temperatur wie in dem Gang davor und in der Kirche über ihr. Es war das Grab, das sie frieren und zittern ließ. Und das, was beim Atmen aus ihrem Mund zu sehen war, war keine zu Reif gefrorene Atemluft, es war ihre Seele, die versuchte aus der Bedrängnis dieser Gruft zu entkommen. Anne wollte nur noch eines – fort. So schnell wie möglich. Doch wie festgefroren blieb sie stehen. Und dann, als sie sich endlich wieder bewegen konnte, geschah das Unfassbare: Sie lief nicht davon, um ihr Leben und ihr Seelenheil zu retten, nein, sie trat noch näher an die Grabplatte heran. Es war wie in einem Horrorfilm, in dem die Akteure stets genau das Gegenteil von dem taten, was der Zuschauer glaubte, das er in einer entsprechenden Lage tun würde.
    Ihr Herz schlug so laut, dass das Echo schaurig von den Wänden widerhallte und sie fürchtete, es würde das Gewölbe zum Einsturz bringen. Sie wollte wirklich nicht den Namen jenes unheilvollen Geschöpfes kennen, das hier begraben lag. Und doch ging sie immer näher, getrieben von einer Macht, die nicht eher lockerlassen würde, bis sie die Inschrift entziffert hatte.
    Langsam, unendlich langsam, schwerfällig und mühevoll, als wäre die Gruft plötzlich mit einer zähflüssigen Gallerte angefüllt, gegen die sie ankämpfen musste, beugte Anne sich vor und las die eingravierten scharlachroten Buchstaben und Jahreszahlen. Sie waren so gestochen scharf, das Rot war so intensiv, dass sie sich beim Lesen durch ihre Netzhaut hindurch und direkt in ihr

Weitere Kostenlose Bücher