Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verschwörung in Florenz

Verschwörung in Florenz

Titel: Verschwörung in Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
Vom Netzwerk:
Gehirn ätzten, sodass sie vor Schmerz die Hände vor die Augen schlug und halb ohnmächtig auf die Knie sank. Immer und immer wieder, als würde ihr Verstand allmählich dem Druck von Angst und Entsetzen weichen und in den Zustand der Katatonie übergehen, murmelte sie dieselben Worte, wiederholte wie ein Mantra, was auf der aschgrauen Marmorplatte geschrieben stand: »Giacomo de Pazzi – Ruhe in Frieden«.
    Anne wachte keuchend auf. Schweißperlen standen auf ihrer Stirn, ihr Nachtgewand klebte vor Feuchtigkeit an ihrem Körper. Die wärmende Bettdecke lag auf dem Boden. Sie setzte sich in ihrem Bett auf, zog die Knie an und umschlang sie mit ihren Armen. Sie kannte diesen Traum, diesen fürchterlichen Albtraum, der sie seit einigen Jahren immer wieder in unregelmäßigen Abständen heimsuchte. Jedes Mal war er ein wenig anders – mal war sie auf einem Friedhof, mal in einer kleinen Kapelle irgendwo im Wald, mal in einer Kirche. Einmal hatte sie sogar vom Petersdom geträumt. Doch jedes Mal stand sie im Traum mit klopfendem Herzen vor der Grabplatte aus aschgrauem Marmor und las die Inschrift. Und jedes Mal wachte sie schweißgebadet und zitternd vor Angst auf. Dabei war das Beklemmende an diesem Traum eigentlich weniger seine Hartnäckigkeit, die gewiss so manchem Psychoanalytiker ausreichend Stoff für eine Abhandlung gegeben hätte. Es lag eher daran, dass dieser Traum auf einer wahren Begebenheit beruhte. Sie hatte tatsächlich vor dieser Grabplatte gestanden.
    Es war viele Jahre her. Sie hatte damals gerade ihr Abitur gemacht und sich mit einem Trip kreuz und quer durch Spanien belohnt. Es war August und so heiß, dass sie manchmal Angst hatte, das Kühlwasser ihres Leihwagens würde zu kochen beginnen. Es war in Kastilien, genauer gesagt in Avila, der Stadt der heiligen Theresa. Auf Empfehlung eines Tankwarts hatte sie das kleine halb vergessene staubige Kloster San Tomas am Stadtrand von Avila aufgesucht, denn er hatte ihr erzählt, dass San Tomas eine einzigartige Sehenswürdigkeit sei, eine von denen, die nicht in den Reiseführern stünden, ein wahrer Geheimtipp, etwas, das sie bestimmt noch nie gesehen habe. Was an diesem Kloster so besonders sein sollte, hatte er nicht verraten wollen, doch vermutlich hatte gerade das sie so neugierig gemacht. Es hatte so geheimnisvoll geklungen.
    Es war Mittag, als sie das Kloster betreten hatte. Der Kreuzgang, der kleine halb vertrocknete Kräutergarten und die Kirche waren damals ebenso leer gewesen, wie sie sich stets in ihren Träumen darstellten. Die Hitze hatte alle vertrieben. Auf der Suche nach der Sehenswürdigkeit hatte sie die Kirche durchstreift, bis sie schließlich die Gruft entdeckt hatte – jene Gruft, die sie seither in ihren Träumen verfolgte und ängstigte.
    Es war eine bescheidene Gruft gewesen. Sie war schlicht, weiß und enthielt nur eine einzige schmucklose Grabplatte aus aschgrauem Marmor. Und trotzdem wusste Anne sofort, dass dies die Sehenswürdigkeit war, von welcher der Tankwart gesprochen hatte. Nicht weil sie so besonders schön oder kunstvoll war, sondern wegen ihrer einzigartigen Atmosphäre. Sobald sie die Gruft betreten hatte, hatte sie zu frieren begonnen, auch wenn es dort nicht kälter gewesen sein mochte als in der Kirche selbst. Kein Spinnennetz war zu sehen gewesen, kein Käfer, keine Fliege. Die Gruft hatte ausgesehen, als ob alle Lebewesen sie meiden würden, und auch sie selbst hatte nur noch fortgewollt. Eigentlich hatte sie nicht wissen wollen, wer dort begraben worden war, doch die Neugierde hatte es nicht zugelassen, dass sie einfach wieder gegangen war. Sie hatte wenigstens einen Blick auf die Grabplatte werfen und die Inschrift entziffern müssen, damit der Umweg nicht umsonst gewesen war. Sie hatte die eingravierten Buchstaben und Jahreszahlen gelesen, die so gestochen scharf gewesen waren, als hätte der Steinmetz sie erst eine Woche zuvor in den Marmor gemeißelt. Selbst Staub und Verfall schienen diesen Raum zu scheuen. Und als sie den Namen gelesen hatte, wusste sie auch, weshalb. In großen Lettern stand dort geschrieben: »Tomas de Torquemada – 1420–1498 Requiescat in pace«.
    Anne erschauerte, als sie wieder an diesen grauenvollen Augenblick dachte. Tomas de Torquemada war gegen Ende des 15. Jahrhunderts der Kopf der spanischen Inquisition gewesen, ein Mann, der seine Aufgabe als Generalinquisitor derart gründlich erfüllt hat, dass nicht einmal die Kirche in ihrer mittelalterlichen Verirrung es gewagt

Weitere Kostenlose Bücher