Verschwörung in Florenz
genießen.
Anne hatte gerade den letzten Löffel Suppe gegessen und wischte die Reste in der Schüssel noch mit dem würzigen graufarbenem Brot auf, als es erneut an der Tür klopfte. Es war Ludmilla. Die junge Magd trat ein und machte unter Matildas strengem Blick einen hastigen Knicks.
»Verzeiht, Signorina, der junge Herr ist zugegen. Er wünscht die Signorina zu sprechen.«
Matilda sah Anne fragend an. »Fühlt Ihr Euch kräftig genug, um den jungen Herrn zu empfangen?«
»Ja«, versicherte Anne und schob das Tablett zurück. »Mir geht es gut. Und mit dem Essen bin ich auch gerade fertig, also …«
»Nimm das Tablett mit, Ludmilla, und führe den jungen Herrn herein«, befahl Matilda. Sie strich die Decke auf Annes Bett glatt, nahm eine Stickarbeit aus einem kleinen Korb, der am Fußende des Bettes stand, und setzte sich auf den Lehnstuhl am Fenster.
Die perfekte Anstandsdame, dachte Anne amüsiert. Sie will wohl sichergehen, dass »der junge Herr« nicht über mich herfällt.
Wieder trat Ludmilla ein, diesmal dicht gefolgt von Giuliano.
»Signorina, der junge Herr«, sagte die Magd, knickste erneut, schob einen Schemel an das Bett und verließ dann den Raum.
»Verzeiht, wenn ich Euch störe, Signorina Anne«, begann Giuliano. Er stand am Fußende ihres Bettes, knetete nervös seine Hände und machte einen befangenen, unsicheren Eindruck, der nicht ganz zu ihm passen wollte. »Falls Euch meine Anwesenheit unangenehm sein sollte …«
»Keineswegs, Giuliano, ich freue mich über Ihren … Euren Besuch«, verbesserte sie sich und deutete auf den Schemel.
»Bitte, nehmt doch Platz.«
Er rückte den Schemel zurecht und setzte sich so umständlich hin, als hätte er plötzlich vergessen, wie man dieses Möbelstück benutzt. Sie schwiegen. Beide. Selbst Anne wusste nicht so recht, was sie sagen sollte. Dabei war sie normalerweise nun wirklich nicht schüchtern. Aber es war auch eine überaus ungewöhnliche Situation. Da saß sie nun aufrecht in einem Bett aus dem Mittelalter, gestrandet im Jahre 1477 christlicher Zeitrechnung, und neben ihr auf einem Schemel hockte kein Geringerer als Giuliano de Medici, der Bruder des großen Lorenzo de Medici. Denn dass er es wirklich war, daran hatte sie jetzt keinen Zweifel mehr. Bei vollem Tageslicht sah er genauso aus, wie Botticelli ihn auf zahlreichen seiner Gemälde dargestellt hatte. 1477 – das konnte einem schon die Sprache verschlagen.
Es war so still in dem kleinen Zimmer, dass Anne Giulianos Atemzüge hören konnte. Sie klangen mühsam, fast gequält, als ob eine schwere Last auf seinen Brustkorb drücken und ihn am Atmen hindern würde. Ihr selbst erging es nicht viel besser. Die Spannung im Raum wurde schier unerträglich, das Schweigen ließ die Luft zwischen ihnen vibrieren und knistern.
Ein Funke, und alles geht in Flammen auf, dachte Anne und zählte ihre Herzschläge. Eins, zwei drei, vier … Nun reiß dich doch zusammen. Einer von uns muss doch endlich etwas sagen.
»Was …« – »Ich …«, begannen sie beide schließlich gleichzeitig, als hätte jeder von ihnen ein Zeichen erhalten. Sie mussten lachen, und von einer Sekunde zur nächsten war die Spannung fort.
»Verzeiht, Signorina Anne, ich habe Euch unterbrochen«, sagte Giuliano mit einem freundlichen Lächeln und deutete eine galante Verbeugung an.
»Eigentlich wollte ich Euch nur die Frage stellen, was Euch zu mir führt«, erwiderte Anne.
»Ich wollte mich vergewissern, dass es Euch gut geht. Außerdem«, sagte Giuliano, und seine Wangen färbten sich leicht rosa, »wollte ich Euch davon in Kenntnis setzen, dass alles wieder in Ordnung ist.« Er warf Matilda einen raschen Blick zu, dann beugte er sich zu Anne vor und senkte seine Stimme zu einem Flüstern. »Ich habe das Collier wieder zurückgebracht. Mein Bruder und meine Schwägerin scheinen keinen Verdacht zu schöpfen, denn Clarice hat die Kette heute früh während der Messe getragen, und keiner von beiden hat auch nur ein Wort darüber verloren.«
Während er das sagte, kehrte Annes Groll zurück. Sie ärgerte sich, als sie an die Anschuldigungen dachte, mit denen Giuliano sie noch vor einigen Stunden konfrontiert hatte.
»Trotzdem klingt es nicht gerade so, als wäre ich jetzt vom Vorwurf des Diebstahls reingewaschen«, entgegnete sie.
Diesmal wurde Giuliano dunkelrot im Gesicht. Sichtlich beschämt senkte er den Blick und malte vor Verlegenheit Kringel auf die Bettdecke.
»Ich … ich weiß, dass ich …«, stammelte
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