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Verschwörung in Florenz

Verschwörung in Florenz

Titel: Verschwörung in Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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kannst du dein Brot aus der Gosse auflesen oder auf den Stufen vor Santa Maria del Fiore um Almosen betteln. Und nun pack dich, bevor mir die Hand ein zweites Mal ausrutscht!«
    Eilige Schritte entfernten sich, und Anne hörte Matilda seufzen. Dann erklang ein Geräusch wie das Schaben von Holz über Stein. Anne war ziemlich sicher, dass sie sich einen Stuhl zurechtrückte. Und tatsächlich vernahm sie gleich darauf das Knacken und Ächzen des Holzes unter dem Gewicht der Frau. Warum blieb Matilda vor ihrer Tür sitzen? Sollte sie Anne etwa bewachen und verhindern, dass sie das Zimmer oder gar das Haus verließ? War sie doch eine Gefangene? Oder war es wirklich nur Freundlichkeit und Sorge um die Kranke? Wollte sie in Hörweite bleiben, falls Anne nach ihr rief und etwas brauchte?
    Leise trat sie von der Tür zurück und schlich zum Fenster. Zaghaft hob sie einen der Vorhänge und spähte hinaus. Das Haus musste über eine ganze Reihe von Stockwerken verfügen, denn die Straße lag so tief unter ihr, dass sie sie nicht sehen konnte. Doch Geräusche drangen trotz der geschlossenen Fenster zu ihr herauf. Es waren seltsame, ungewöhnliche Geräusche – das Klappern von Pferdehufen und Kutschrädern auf Kopfsteinpflaster, Stimmengewirr, das Schlagen von Hämmern und Äxten, als ob da unten gerade gebaut würde, vermischt mit dem Gackern von Hühnern und dem Wiehern von Pferden. Anne hörte sogar ein Schaf blöken. Man konnte meinen, sie befände sich irgendwo mitten auf dem Land, und trotzdem sagte ihr die Aussicht, dass es nicht so war. In welches Haus man sie auch immer verschleppt haben mochte, sie hatte Florenz nicht verlassen. Die beiden Häuser auf der gegenüberliegenden Seite der Straße kannte sie zwar nicht, doch durch die Lücke zwischen ihren stolzen mittelalterlichen Fassaden hindurch sah sie die wunderschöne Kuppel von Santa Maria del Fiore mit ihren roten Dachziegeln und weißen Querstreben – das Meisterwerk von Brunelleschi, das Wahrzeichen von Florenz. Dieser Anblick war unverwechselbar. Nachdenklich wandte Anne ihren Blick ab. Das Sonnenlicht schimmerte durch die ungleichmäßigen kleinen Fensterscheiben ihres Zimmers und malte hübsche Kringel auf den Dielenboden. Dies waren keine industriell gefertigten Scheiben. Sie erinnerten eher an die Bleiglasfenster einer mittelalterlichen Burg, handgefertigt und beinahe unbezahlbar, nicht nur in ihrer Epoche. Jeder Besitzer eines denkmalgeschützten Gebäudes konnte ein Lied davon singen, was die Reparatur einer einzigen der kleinen Fensterscheiben kostete. Anne begann plötzlich zu frieren. Kein Wunder, dachte sie, in diesem Zimmer gibt es keine Heizung, nicht einmal einen Kamin.
    Eilig kehrte sie ins Bett zurück, zog die Decke bis zum Kinn und schmiegte sich an die Kissen in ihrem Rücken. Sie fühlte den kühlen, etwas rauen Stoff der Bettwäsche und grübelte. Sie dachte an die beiden Frauen und ihre ungewöhnliche Tracht. »Mägde« hatten sie sich genannt. Ein überraschender Ausdruck in einer Zeit, in der es keine Bauern und Putzfrauen, sondern nur noch Diplomlandwirte und Raumpflegerinnen gab, auch hier in Italien. Die Geräusche auf der Straße – Pferde, Schafe und Hühner mitten in Florenz – waren ebenfalls nicht gerade alltäglich. Selbst zur Zeit des Calcio in Costume ließen sich normalerweise Verkehr und das moderne Leben nicht aus Florenz verbannen. Irgendwo hörte man immer das Motorengeräusch eines Autos, die Sirene eines Polizeifahrzeugs oder Krankenwagens, das charakteristische Hupen einer Vespa. Und dann waren da noch die Diener in ihrer seltsamen Kleidung. Und die Dunkelheit auf der Straße in der vergangenen Nacht. Auch in diesem Zimmer schien es keinen Strom zu geben, zumindest konnte sie keine Lichtschalter, Lampen oder Steckdosen entdecken.
    Während sie sich das Hirn zermarterte, fiel ihr ein Wissenschaftler ein, den sie vor einiger Zeit interviewt hatte. Es war ein Physikprofessor, ein Nobelpreisträger und Experte auf dem Gebiet der Experimentalphysik. »Im Grunde funktioniert das Universum ganz einfach«, hatte er ihr auf die Frage geantwortet, wie er seine überraschenden Theorien entwickelt habe. »Alles folgt stets dem Prinzip der Faulheit, angefangen von den Elementarteilchen über die Körperzellen einer Maus bis hin zu einem Spiralnebel in den Tiefen des Weltalls. Alles ist so einfach und effizient wie nur möglich. Wenn Sie also Ereignisse beobachten, die sich, basierend auf Ihrer Ausgangshypothese, nur durch

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