Verschwörung in Florenz
sich hektisch um. Schließlich griff er nach einem Messer, das auf einem Tisch lag.
Mein Gott, er macht es wirklich. Dieser Wahnsinnige wird die Leinwand zerschneiden, dachte Anne und schlug entsetzt die Hände vor den Mund. Sie war unfähig, sich auch nur zu rühren.
»Sandro, ich bitte dich, ich flehe dich an«, sagte Giuliano so beschwichtigend, wie er konnte. Er kniete fast vor dem wütenden Maler nieder. »Halte ein und erkläre mir, weshalb du dieses Werk vernichten willst. Was um alles in der Welt ist nur über dich gekommen?«
»Frage nicht mich!«, schrie Botticelli. »Frage lieber Gott, den Heiligen Geist oder wen auch immer du willst. Warum nur muss mich die Muse erst in dem Augenblick finden, in dem das Gemälde fast vollendet ist? Sieh dir nur diese Venus an, Giuliano. Schau nur, da ist sie – die Göttin der Schönheit. Ein hübsches Gesicht mit wundervollem Haar – ohne Zweifel. Doch sieh diesen Körper. Siehst du ihn? Ist das etwa die Gestalt einer Göttin?«
Er deutete auf den schlanken unbekleideten Körper auf dem Bild.
Seltsam, dachte Anne, so dünn ist mir die Venus von Botticelli noch nie vorgekommen. Das Mädchen dort auf dem Bild hat höchstens Konfektionsgröße vierunddreißig.
»Aber was ist denn falsch an ihr?«, fragte Giuliano. »Ich erkenne Simonetta, ich erkenne ihr Lächeln. Du hast sie sehr gut getroffen.«
Botticelli schnaubte verächtlich. »Sehe ich aus wie ein Idiot? Natürlich ist es Simonetta. Ich habe sie schließlich selbst gemalt. Doch es ist nicht Venus!« Wieder raufte er sich die Haare. »Dort! Dort, direkt vor uns steht Venus, in leibhaftiger Gestalt, die Göttin der Schönheit, der Fruchtbarkeit. Ein Körper so köstlich, so schön, so vollendet, wie er nur von den Göttern für die Götter selbst erschaffen worden sein kann.«
Giuliano sah sie an. Und Anne brauchte eine Weile, bis sie endlich begriff, wohin der zitternde Zeigefinger des berühmten Künstlers deutete – auf sie.
»Aber was …«
»In der Tat«, sagte Giuliano und lächelte zärtlich, während sein Blick an ihr auf und ab glitt. »Ich gebe dir Recht, Sandro. Dieser Körper ist wahrlich einer Göttin würdig. Aber dennoch begreife ich deine Verzweiflung nicht. Warum willst du das Bild vernichten?«
Sandro warf Giuliano einen mitleidigen Blick zu. »Bin ich nicht Sandro Botticelli? Niemand kann von mir verlangen, mich mit Unvollkommenheit und Mittelmaß zufrieden zu geben«, erklärte er würdevoll. »Allein der Gedanke, dass dein Bruder dieses … dieses Machwerk in eurem Landhaus aufhängen könnte, und die Vorstellung, dass irgendjemand – und sei es nur eine jämmerliche Küchenmagd – es sehen könnte, bereitet mir Leibschmerzen. Ich kann und will deinem Bruder dieses Gemälde nicht überlassen. Nicht, seitdem ich weiß, dass es besser, vollkommener hätte sein können.« Er seufzte tief. »Wenn ich ihr doch nur eher begegnet wäre!«
Der Blick seiner braunen Augen machte Anne nervös. Unwillkürlich zog sie ihren Umhang etwas enger um sich. Sie verstand die beiden Männer nicht. Sie selbst fand sich immer etwas zu dick, insbesondere an Bauch und Hüfte, und hätte viel dafür gegeben, so schlank zu sein wie das Mädchen auf dem Bild. Zahlreiche Diäten und Fitnessprogramme hatten es nämlich bislang nicht geschafft, die überflüssigen Pfunde dauerhaft zum Verschwinden zu bringen.
»Gibt es denn gar keinen anderen Ausweg?«, fragte Giuliano. »Sandro, bitte denk doch noch einmal darüber nach. Lorenzo braucht doch nicht zu erfahren, dass das Gemälde vollkommener hätte sein können. Er wird es so billigen, wie es ist.«
»Es genügt, dass ich es weiß«, erklärte Botticelli mit Nachdruck.
»Sandro, Lorenzo erwartet das fertige Gemälde in zwei Wochen. Kannst du denn so schnell ein neues malen?«
»Nein. Unmöglich.«
Giuliano schüttelte betrübt den Kopf. »Das wird meinen Bruder nicht besonders glücklich machen, Sandro. Er plant die Enthüllung des Gemäldes im Rahmen eines großen Festes, und die Gäste sind bereits geladen. Du kennst ihn doch. Er wird wütend, wenn man seine Pläne durchkreuzt. Und du solltest nicht …«
Botticelli hob theatralisch die Hände. »Ich kann nicht aus meiner Haut heraus. Lieber verkaufe ich meine Seele dem Teufel als deinem Bruder ein minderwertiges Bild. Er wird es verstehen müssen.« Er zuckte mit den Schultern. »Sag ihm, er soll sein Fest verschieben.«
Giuliano seufzte tief. »Und wenn du das Gemälde nur umarbeitest? Ich meine,
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