Verschwörung in Florenz
dort …«
»Nein«, sagte Anne und legte ihm rasch einen Finger auf die Lippen. »Du hast das hier geplant, und ich bin neugierig geworden. Aber was auch immer du gerade gedacht hast, vergiss es nicht.«
Sie stiegen aus der Kutsche. Die Straße, in der sie angehalten hatten, war so schmal, dass Anne sich große Mühe geben musste, ihre Kleidung beim Aussteigen nicht an der gegenüberliegenden Hauswand aufzureißen.
»Warte hier auf uns, Giuseppe«, sagte Giuliano zu dem Kutscher. »Es wird vielleicht eine, höchstens jedoch zwei Stunden dauern.«
Anne sah ihn überrascht an. Er schien überhaupt keine Skrupel zu haben, dass die Kutsche für diese Zeit die Straße vollständig versperren würde. Selbst Fußgänger würden Schwierigkeiten haben, sich rechts und links an ihr vorbeizudrängen. Anne hatte schon oft gemerkt, dass Giuliano über das unerschütterliche Selbstvertrauen eines Mannes verfügte, der in eine hohe gesellschaftliche Position hineingeboren worden war. Er war schließlich ein Medici. Ferner durfte sie nicht vergessen, dass sie sich nicht im Florenz des 21. Jahrhunderts befand. Hier gab es keine Polizisten, die Strafzettel an Falschparker verteilten. Sie war im Florenz der Medici. Und wer würde es wagen, einem Medici zu verwehren, seine Kutsche genau dort abzustellen, wo er es wollte?
Giuliano reichte Anne lächelnd seine Hand und führte sie ein paar Stufen hinauf zu einem schmalen Hauseingang. Er klopfte nicht an, sondern öffnete selbst die Tür zu einem dunklen Flur. Ein enges, düsteres Treppenhaus ging steil nach oben.
»Wo sind wir hier?«, fragte Anne überrascht. In einem Film hätte sich hier ein Bordell oder der Unterschlupf eines Dealers oder Waffenschiebers befunden. Dies war bestimmt nicht das Umfeld, das man mit einem Mitglied der wohlhabendsten Familie der Stadt in Verbindung bringen würde.
»Lass dich überraschen. Ich bin sicher, es wird dir gefallen.«
Sanft legte er einen Arm um ihre Schultern, und sie fragte sich, weshalb sie ihn nicht doch gebeten hatte, einfach umzukehren. Was auch immer hier in diesem Haus auf sie warten mochte, es hätte ruhig noch einen Tag länger warten können.
Langsam stiegen sie die schmalen Stufen empor. In Annes Augen war es kaum mehr als eine Leiter, und jede einzelne Stufe knarrte erbärmlich unter ihrem Gewicht. Sie fühlte sich unangenehm an jene Träume erinnert, in denen man steile Treppen ohne Geländer, dafür aber mit beklemmend kurzen Stufen emporsteigen und plötzlich vor den Füßen auftauchende Löcher in halsbrecherischen Aktionen überwinden musste. Als sie schon glaubte, die Stufen würden nie ein Ende nehmen, öffnete sich das Treppenhaus plötzlich zu einer großen, von einem jämmerlichen Talglicht erleuchteten Plattform. Giuliano klopfte an die einzige hier befindliche Tür, und ohne auf eine Antwort zu warten, öffnete er, trat ein und zog Anne mit sich. Was sie dann sah, verschlug ihr vor Staunen die Sprache.
Im ersten Augenblick glaubte sie in einer Kirche gelandet zu sein. Sie standen in einem riesigen hohen weiten Raum, der sich gewiss in seiner Ausdehnung über die ganze Grundfläche von mindestens zwei einander benachbarten Häusern erstreckte und höher war als zwei gewöhnliche Stockwerke zusammengenommen. Durch riesige Sprossenfenster, ähnlich denen in alten Fabrikgebäuden, und große Luken im Dach flutete das Sonnenlicht ungehindert herein, sodass Anne nach der Dunkelheit des Treppenhauses geblendet die Augen zusammenkniff. Als sie sich einigermaßen an das Licht gewöhnt hatte, entdeckte sie Merkwürdiges. Überall standen mit weißen Laken verhangene, seltsam geformte Gegenstände umher. Und es roch komisch. Dieser Geruch war irgendwie vertraut und gleichzeitig ungewöhnlich. Er erinnerte sie an etwas. Es roch nach Metall, nach …
Farbe, dachte Anne und schnupperte erneut. Es riecht irgendwie nach Farbe. Farbe ohne Lösungsmittel.
Bei den zahllosen Streifzügen durch Hamburger Galerien war sie natürlich auch auf Künstler gestoßen, die ihre Farben auf traditionelle Weise herstellten, nach dem Vorbild der alten Meister – mit reinen Farbpigmenten, Eigelb, Wasser oder anderen oft geheimen Rezepturen. Dies hier war ein ähnlicher Geruch. Und dann wurde ihr klar, wo Giuliano sie hingeführt hatte. Dies war natürlich keine Kathedrale, kein Kultraum einer geheimnisvollen fremden Religion, es sei denn, man würde Kunst als solche bezeichnen. Es war das Atelier eines Malers. Und die seltsamen
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