Verschwörung in Florenz
Gegenstände, die überall herumstanden, waren abgedeckte, vielleicht noch nicht vollendete Gemälde.
»Einen Gruß dem Meister!«, rief Giuliano in das Atelier hinein und ging ein paar Schritte durch den Raum, als würde er sich öfter hier aufhalten. »Bist du da?«
»Selbstverständlich! Willkommen, willkommen, mein lieber Freund«, erklang in diesem Augenblick eine fröhliche Stimme aus den Tiefen des Raumes. Rasch kam ein dunkelhaariger Mann näher. Offensichtlich hatte er gerade gemalt, denn noch im Gehen wischte er sich an einem bunt gesprenkelten Lappen die Hände ab. »Verzeih, dass ich dich nicht gebührend empfangen habe, doch die Glocken von San Lorenzo haben nicht geschlagen – oder ich habe sie einfach überhört.«
»Weder noch, Sandro«, erwiderte Giuliano. »Es ist unser Fehler. Wir sind vor der vereinbarten Zeit erschienen.«
Neugierig betrachtete Anne Giulianos Freund. Er machte einen verwegenen Eindruck. Sie war sicher, dass dieser Mann sich nicht wie Giuliano zwei Wochen lang in Zurückhaltung geübt hätte. Er war nachlässig gekleidet, so als hätte er beim Aufstehen einfach nach einem herumliegenden Kleiderbündel gegriffen, ohne darauf zu achten, ob die einzelnen Stücke zusammenpassten. Dabei waren es jedoch keinesfalls ärmliche Lumpen, sondern Kleider von neuestem Schnitt, und die Stoffe waren von erlesener Qualität. Die beiden Männer umarmten sich.
»Ist es schon fertig, Sandro? Ich meine das Gemälde, das Lorenzo für unser Landhaus bestellt hat.«
»Ja, gewiss, ein paar Pinselstriche fehlen zwar noch, aber … Ich habe gerade daran gearbeitet. Komm mit, ich zeige es dir.«
Dann fiel sein Blick auf Anne. Lächelnd streckte sie ihm die Hand hin. Wenn ihr schon die Begegnung mit einem echten Medici seltsam und verrückt erschienen war, so war es die Begegnung mit einem der berühmtesten florentinischen Maler noch weitaus mehr. Sie stand vor Sandro Botticelli und konnte ihr Glück kaum fassen. Es war, als hätte sie den Heiligen Gral gefunden. Eine größere Freude hätte ihr das Schicksal nur mit Pablo Picasso oder Leonardo da Vinci machen können.
»Sandro, dies ist meine hoch geschätzte Freundin Signorina Anne«, sagte Giuliano. »Aber was ist mit dir? Weshalb wirst du bleich wie eines jener Laken, mit denen du deine Werke bedeckst?«
Tatsächlich war Botticelli blass wie ein Handtuch. Er starrte Anne mit weit aufgerissenen Augen an, als würde er einem Geist gegenüberstehen. Und dann, wie aus heiterem Himmel, begann er plötzlich zu stöhnen und zu wehklagen. Er raufte sich die Haare, schlug sich mit der Faust gegen die Stirn und lief im Kreis herum wie Rumpelstilzchen.
»Mein Gott, mein Gott! Warum nur? Warum?«
»Sandro!«, rief Giuliano, packte den Mann bei den Schultern und schüttelte ihn. »Sandro, bist du von Sinnen? Was ist los? Was ist mit dir?«
Mühsam schnappte Sandro Botticelli nach Luft. »Ich kann nicht. Teil deinem Bruder Lorenzo mit, dass er länger auf das Gemälde warten muss. Ich muss das Werk von neuem beginnen.« Er stöhnte wieder auf und schlug sich an die Stirn. »Wieso ist Gott so grausam? Weshalb tut Er das? Warum nur hat Gott mir diesen Engel nicht eher geschickt?« Und damit stürzte er davon.
Giuliano und Anne sahen sich verständnislos an und folgten ihm dann zögernd. Sie hörten Sandro in einer Ecke des Ateliers rumoren, und dann sahen sie ihn. Er schleppte schwer an einem riesigen Bild. Er zerrte die auf Holzleisten gespannte Leinwand zum Fenster und versuchte es zu öffnen. Viel konnte Anne auf dem Bild nicht erkennen, nur eine große Muschel und ein paar Frauenbeine.
Die Geburt der Venus , dachte sie und erstarrte fast vor Ehrfurcht. Und dann begann sie zu begreifen, was Sandro Botticelli vorhatte. Der Künstler war drauf und dran, sein Meisterwerk aus dem Fenster zu werfen. Dabei war es fast grotesk, wie er sich abmühte, das riesige Gemälde durch die viel zu kleine Fensteröffnung zu schieben.
»Nein!«, schrie Giuliano entsetzt, der anscheinend im selben Moment begriffen hatte, was hier vor sich ging. »Sandro, das kannst du nicht tun!«
»Und ob ich das kann!«, schrie der Maler wie von Sinnen. »Bin nicht ich der Meister? Dieses Gemälde ist schlecht. Es ist minderwertig. Es ist nicht würdig, meinen Namen zu tragen. Es ist die Leinwand nicht wert, auf der es gemalt wurde. Es ist die Farbe nicht wert. Es …«
Botticelli hatte offensichtlich die Aussichtslosigkeit seines Handelns begriffen, stellte die Leinwand ab und sah
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