Verschwörung in Florenz
Inhalt des Schreibens zweimal überflogen hatte, wandte Anne sich an den Boten.
»Richte meinen herzlichen Gruß an deinen Herrn und teile ihm mit, dass ich gern bereit bin, ihn heute noch zu empfangen. Die Stunde mag er selbst festlegen. Ich bin heute Nachmittag nicht beschäftigt und werde ihn erwarten.«
Der junge Mann verneigte sich mit einem Lächeln vor ihr, verbeugte sich auch vor Giuliano, grüßte und eilte schließlich davon.
»Wer war das? Wer hat dir geschrieben?«, fragte Giuliano. Er bemühte sich zweifellos, seiner Stimme einen ruhigen, gleichgültigen Klang zu verleihen, aber es gelang ihm nicht ganz.
»Ach, das war nur ein Brief von Cosimo, deinem Vetter. Er möchte mich gern besuchen. Eine recht nette Idee, wie ich finde.«
Zu ihrer großen Genugtuung stellte Anne fest, dass dieser kleine Vorfall die erwünschte Wirkung erzielt hatte. Giulianos Gesicht hatte sich rot verfärbt, und offensichtlich bereitete es ihm große Mühe, sich zu beherrschen. Er ballte seine Hände zu Fäusten.
»Hat er auch geschrieben, weshalb er dich besuchen will?«
»Nein«, erwiderte Anne. »Vermutlich will er einfach ein wenig mit mir plaudern. Wir hatten bislang noch keine Gelegenheit, uns näher kennen zu lernen. Immerhin gehört er zur Familie.«
»So«, sagte Giuliano, und seine Nasenflügel blähten sich vor unterdrücktem Zorn. »Wenn also Lorenzo dir schreibt und dich in deinem Schlafgemach aufsuchen will, so wirst du auch zustimmen? Oder tust du es nur, weil Cosimo ein hübsches Gesicht hat?«
»Giuliano, dein Bruder würde niemals diesen Wunsch hegen, das weißt du genau. Doch wenn er mich um ein Gespräch bitten würde, so würde ich ihm die Bitte selbstverständlich gewähren.«
»Wenn Cosimo kommt, werde ich ihm …«
»Giuliano, Liebster«, sagte Anne mit ihrer sanftesten Stimme und legte ihm eine Hand auf den Arm. »Du wirst nicht zugegen sein. Ich werde Cosimo allein in meinem Gemach empfangen. Er hat mich darum gebeten.«
»Dann tu doch, was du willst!«, rief Giuliano. »Aber ich warne dich. Cosimo sieht nur so jung und unschuldig aus. In Wahrheit ist er viel älter als ich. Er hat kein Gewissen und kennt keine Skrupel. Man sagt, er stünde mit dem Teufel im Bunde.«
»Giuliano, glaubst du nicht, dass du in deinem Zorn ein wenig übertreibst?«
Doch er antwortete nicht, stampfte zornig mit dem Fuß auf und stürmte ohne ein weiteres Wort die Treppe hinauf.
Anne sah ihm lächelnd nach.
Na also, mein Lieber, du kannst ja doch eifersüchtig werden, dachte sie. Hättest du dich bei Botticelli nur ein bisschen mehr für mich eingesetzt, hätte ich dieses Treffen abgesagt. Mir liegt weiß Gott nichts an Cosimo. Aber da du es nicht anders willst, werde ich dich ein wenig schmoren lassen. Rache ist süß.
Die Besucher
Es wurde bereits dunkel. Anne stand am Fenster ihres Zimmers und sah zu, wie einer der Nachtwächter unten auf der Straße Öl in die Laterne füllte und sie anzündete. Als der Docht der Lampe zu glimmen begann und die Straße in ein trübes Licht tauchte, bemerkte Anne, dass der Nachtwächter doch nicht der einzige Mensch auf der Straße war. Verborgen von den Schatten eines düsteren Hauseingangs gegenüber von Giulianos Haus entdeckte Anne eine dunkle Gestalt. Sie sah unheimlich aus, wie ein dunkler Mönch in einer Kutte – oder ein Henker. Reglos harrte die Gestalt in ihrem Versteck aus, sodass Anne nach einer Weile glaubte, sie hätte sich getäuscht. Vielleicht stand dort drüben doch niemand, vielleicht sah sie nur den Schatten eines Mauervorsprungs, der ihr den Umriss eines Menschen vorgaukelte. Doch als der Nachtwächter seine Arbeit beendet hatte und weiterzog, löste sich die Gestalt aus ihrem Versteck und huschte über die Straße. Im nächsten Augenblick hörte Anne den schweren Türklopfer gegen die Eingangstür pochen. Cosimo de Medici war also eingetroffen.
Anne ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. Es war alles vorbereitet. Im Kamin brannte ein wärmendes Feuer, und in dem großen Korb aus Weidengeflecht daneben stapelte sich genügend Brennholz. Auf dem Tisch standen eine Schale mit Gebäck und eine kleine Kanne mit heißem schwarzem Tee. Cosimo konnte kommen.
Sie warf noch rasch einen Blick in den Spiegel, zupfte eine Strähne ihrer Frisur zurecht, rückte die Kette gerade, sodass der Anhänger aus einem tropfenförmig geschliffenen Granat perfekt in der Mitte des Ausschnitts lag, und strich die Falten ihres Kleides aus blauer Wolle glatt. Sie
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