Verschwörung in Florenz
nur seine übergroße Angst vor der Einsamkeit verbirgt. Solche Leute wie Euch sehe ich bei mir zu Hause täglich auf der Straße und im Fernsehen. Deshalb fürchte ich mich auch nicht vor Euch. Darf ich ehrlich sein, Signor Cosimo? Ihr tut mir einfach nur Leid.«
Damit wandte Anne sich um und ließ Cosimo stehen.
Cosimo sah ihr nach. Er war überrascht, amüsiert. Hätte er wohl angesichts ihrer Worte beleidigt, vielleicht sogar wütend sein sollen? Aber weshalb? Sie hatte doch nichts als die Wahrheit gesagt. Die Wahrheit. Unmissverständlich, klar und scharfzüngig. Und das Ganze kam noch dazu aus einem verführerischen Mund. Noch immer sah er der davoneilenden Frau nach. Ihre Gestalt war vollkommen, ihr Gesicht war ebenmäßig wie das einer Madonna, sie war klug, gebildet … Sie war einfach perfekt. Eine Göttin.
Geistesabwesend griff er sich ein Glas mit Wein, das ein Diener zusammen mit drei Dutzend weiteren gefüllten Gläsern an ihm vorbeitrug, um sie in der Halle den eintreffenden Gästen als Willkommenstrank zu reichen. Er achtete nicht auf den Protest des Dieners. Wie im Traum ging er ihr nach, folgte ihr, als wäre ihre Stimme die liebliche Stimme der Sirenen. Er nippte an dem Wein und fragte sich, weshalb diese Frau ausgerechnet zu Giuliano gekommen war. Hatte nicht er selbst – wenn er ihren Worten glauben wollte, und er sah keinen Grund, dies nicht zu tun – sie aus einer nebulösen Zukunft heraus in diese Tage geschickt? Hatte er dies etwa nur getan, um seinem Vetter ein geeignetes Eheweib zu beschaffen? Gewiss nicht. Das hatte weder er noch Giuliano nötig. Heiratswillige Töchter aus vornehmen Familien gab es in Florenz im Überfluss, und Giuliano war ein begehrter Junggeselle. Die jungen Frauen lagen ihm gleich im Dutzend zu Füßen. Zu Recht, wie Cosimo neidlos anerkannte. Giuliano war nicht nur jung und wohlhabend, er war auch hübsch. Zudem verfügte er über ausgezeichnete Manieren, und sein Verstand war wacher, als man von den meisten Angehörigen der Familie Medici behaupten konnte. Ein Mädchen, das ihn zum Ehemann gewinnen konnte, würde sich mit Fug und Recht glücklich schätzen können. Doch einer Frau wie Signorina Anne war er keinesfalls gewachsen. Mochte sich Giuliano getrost weiterhin mit den Simonettas dieser Stadt vergnügen und ihnen die Ehe versprechen; sie standen auf derselben Stufe mit ihm. Diese Frau jedoch kam aus einer ganz anderen Sphäre. Sie in ein Liebesabenteuer mit Giuliano verstrickt zu sehen war undenkbar. Aphrodite war schließlich auch nicht vom Olymp herabgestiegen, um sich mit einem tumben Ziegenhirten zu vereinigen. Giuliano würde ihr niemals gerecht werden können. Und Signorina Anne würde sich an der Seite seines freundlichen, fröhlichen, nichts sagenden Vetters rasch langweilen.
»Herr, was ist mit Euch? Ich sehe so einen seltsamen Ausdruck in den Augen. Ich vermag nicht zu sagen, ob Ihr einem Engel begegnet seid oder Eurem Tod ins Antlitz geschaut habt.«
Cosimo wandte seinen Blick von Signorina Anne ab, die ohnehin gerade dabei war, gemeinsam mit Giuliano den Saal zu verlassen, und sah Anselmo an. Der junge Bursche war immer noch sehr schlank. Doch zeigte die regelmäßige gute Ernährung bereits ihre Früchte, denn er hatte das Aussehen eines halb verhungerten Hundes verloren. Und seit sein Haar sorgfältig geschnitten war, seine Hände manikürt waren und seine Gestalt in ausgesuchten, maßgeschneiderten Kleidern steckte, war von dem schmutzigen, ausgehungerten Narren vom Markt bei Santa Maria Novella nichts mehr übrig geblieben. Im Gegenteil, man konnte ihn sogar für einen Edelmann halten.
»Einem Engel? Nein, Anselmo, einem Engel bin ich nicht begegnet«, erwiderte Cosimo. Er wunderte sich nicht mehr darüber, dass er Anselmo Dinge anvertraute, die er normalerweise nicht einmal seinem Beichtvater erzählen würde – wenn er denn einen solchen gehabt hätte. Der junge Mann stand ihm so nahe, erriet jeden seiner Gedanken, seine Pläne, verstand ihn auch ohne Worte wie sonst nur ein Bruder oder ein wahrer Freund. Das Band zwischen ihnen war bereits so eng, dass Cosimo oft auf Geschehnisse der Vergangenheit anspielte und dabei vergaß, dass Anselmo davon nichts wissen konnte, weil sie sich erst wenige Wochen zuvor zum ersten Mal begegnet waren. »Engel sind für gewöhnlich zwar schön, geradezu überirdisch schön, doch zugleich sind sie auch unnahbar, kalt und gar ein wenig dumm. Und sie denken nicht selbst, sie sind lediglich
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