Verschwörungsmelange
anbettelt, hat man bei ihm schon verloren. Der steht
nicht drauf, dass Leute über ihre Verhältnisse leben, das hat Wolfgang gewusst.
Er musste ihm den glücklich verheirateten Familienmenschen vorspielen, der
immer ein bisschen was auf der Seite hat, sonst wäre er vielleicht aus dem Projekt
geflogen. Und gar so gut waren die beiden auch nicht miteinander.«
»Haben Sie eigentlich einen Verdacht, wer Ihren Mann
umgebracht haben könnte? Hatte er Feinde?«, steuerte Leopold das Gespräch jetzt
ohne Umschweife in die von ihm bevorzugte Richtung.
Erstmals fuhr sich Bettina Ehrentraut mit der Hand über das
Gesicht, so als würde sie versuchen, die Emotionen zurückzuhalten, die sich
ihrer bemächtigen wollten. »Was hat es denn für einen Sinn, einen Verdacht zu
haben?«, fragte sie leise. »Mein Mann ist tot, genügt das nicht? Muss man sich
da zusätzlich den Kopf darüber zerbrechen, wer der Mörder war? Das macht ihn
auch nicht mehr lebendig. Ich bin überzeugt, dass man den Täter finden wird,
aber es ist mir egal, wer es gewesen sein könnte. Wahrscheinlich irgendein
Fanatiker.«
»Ich frage mich, ob es nicht noch andere Spuren geben
könnte«, blieb Leopold hartnäckig. »Ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten,
aber Sie haben selbst behauptet, dass Sie jetzt zu den Verdächtigen zählen. Da
sollten Sie nicht so teilnahmslos sein.«
»Ich bin müde«, sagte Bettina. »Schrecklich müde.«
»Ja, ja, das kommt so von einem Augenblick auf den anderen.
Trotzdem würde ich ein bisschen nachdenken an Ihrer Stelle. Vielleicht fällt
Ihnen etwas Wichtiges ein, wenn Sie wieder besser beisammen sind«, tat Leopold
auf harmlos. »Warum er wohl die Wohnung brauchte, wenn er keine Freundin hatte.
Keine Freundin, aber vielleicht …«
»Einen Freund? Sie spielen auf die Nacktfotos von den jungen
Spielern an. Na, das hat sich ja schnell herumgesprochen«, kam es aus Bettina
jetzt entrüstet hervor. »Ich weiß jedenfalls nichts davon, das habe ich auch
der Polizei gesagt. Ich weiß auch nicht, warum ich mit Ihnen darüber reden
sollte.« Dann wurde sie plötzlich trotzdem unsicher und fragte: »Glauben Sie,
dass Wolfgang auf einmal etwas mit Männern hatte, oder schlimmer … mit
Kindern?«
»Nein, natürlich nicht, andererseits weiß ich nicht, was in
letzter Zeit in ihm vorgegangen ist. Und schließlich gibt es diese Fotos. Man
kann sie nicht aus der Welt schaffen, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Ich kann mir nur vorstellen, dass das aus einer Art
Langeweile heraus entstanden ist, aber ich weiß auch nicht. Er hat offenbar
neue Wege für sein Privatleben gesucht. Vielleicht hat er seine Grenzen
ausgetestet, hat ihn das Verbotene gereizt. Vielleicht war es auch nur ein
ganz, ganz schlechter Scherz.« Mit ihrem Plauderton überspielte Bettina
Ehrentraut weiterhin jeden Gefühlsausbruch.
»Ich wollte nur sachte darauf hinweisen, dass die Möglichkeit
eines Zusammenhanges mit dem Mordfall besteht«, bemerkte Leopold.
»Das glaubt die Polizei auch, deshalb haben sie alle Computer
beschlagnahmt. Die halten Wolfgang wahrscheinlich für einen Perversling, der
sich Schweinereien über das Internet beschafft hat«, bestätigte Bettina. »Na
ja, alles keine rosigen Aussichten. Halten Sie mir die Daumen, dass ich die
nächsten Tage gut überstehe, Leopold. Der Kaffee war gut, aber langsam muss ich
mich wieder auf den Weg machen.« Sie stand auf und ging zunächst einmal in
Richtung Damentoilette, um nach ihrem Herzen auch ihren Körper ein wenig zu
erleichtern. Im selben Augenblick kam Thomas Korber zur Tür herein, etwas
unausgeschlafen, jedoch sichtlich wieder frühlingshaft gut gelaunt.
»Einen großen Braunen bitte, aber vom Feinsten«, sagte er in
Richtung Leopold und rieb sich die Hände dabei. »Eine kleine Stärkung tut gut,
ehe wir den kleinen Reinhard wieder in Englisch unterweisen.«
»Du meinst wohl deinen Gedichtvortrag«, bemerkte
Leopold spöttelnd.
»Sei nicht schon wieder so böse. Das Schicksal des
jungen Mannes liegt mir sehr am Herzen. Aber ich habe, dank deiner Hilfe, heute
Nacht tatsächlich ein passendes Gedicht gefunden. Es heißt ›Schlaflose Nacht‹
und …«
Leopold schien von einem plötzlichen Geistesblitz
erfasst worden zu sein. »Lassen wir das, dafür ist später noch Zeit«, nahm er
Korber hastig zur Seite. »Und für deinen Kaffee ebenfalls. Du musst mir jetzt
einen kleinen Gefallen tun. Auf der Toilette ist eine Dame, die gleich
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