Verschwörungsmelange
zahlen
und unser Lokal verlassen wird. Der gehst du nach und schaust, was sie tut.«
»Also, das ist, glaube ich, das erste Mal, dass du mich quasi
darum bittest, einer Frau nachzustellen.« Korber wirkte erheitert. Offenbar war
ihm die Tragweite von Leopolds Worten nicht bewusst.
»Wer redet denn von nachstellen?«, fragte Leopold nervös.
»Nachgehen sollst du ihr, und zwar möglichst unauffällig. Es handelt sich um
die Witwe vom Ehrentraut. Ich habe da so eine Ahnung.«
»Das ist doch nicht dein Ernst«, reagierte Korber empört.
»Erstens will ich jetzt meinen Kaffee trinken, zweitens beginnt um drei meine
Stunde, und auf die möchte ich mich ein wenig vorbereiten.«
»Vorbereiten? Ist ja lächerlich. Außerdem kann sich ein guter
Lehrer immer und überall vorbereiten, auch unterwegs.«
»Zu spät kommen darf ich jedenfalls auch nicht.«
»Ich habe ja nicht gesagt, dass du eine Weltreise unternehmen
sollst, nur der Dame ein wenig in sicherem Abstand folgen und schauen, ob sich
etwas tut.«
»Und wenn sie mit dem Auto fährt?«
Jetzt war Leopold für einige Augenblicke verlegen. Thomas
Korber besaß kein Auto, aber Bettina Ehrentraut hatte seines Wissens nach auch
keinen Führerschein, zumindest hatte sie vor einigen Jahren keinen gehabt. Aber
wie als Antwort auf Korbers Frage kam sie aus der Damentoilette und rief: »So,
ein kleiner Spaziergang an der frischen Luft wird mir bei diesem herrlichen
Wetter sicher gut tun.«
»Beehren Sie uns bald wieder, gnä Frau, wenn die
traurigen Tage vorüber sind«, verabschiedete sich Leopold mit einer kleinen
Verbeugung, nachdem er ein ordentliches Trinkgeld kassiert hatte. Dabei machte
er einen schnellen Griff in seine Lade, sein Heiligtum, in dem er eine ganze
Sammlung kurioser und nützlicher Dinge liegen hatte, und drückte Korber
unbemerkt ein metallisches Etwas in die Hand, kaum dass sich Bettina umgedreht
hatte.
»Auf Wiedersehen, Leopold, war nett, in dieser Situation mit
Ihnen plaudern zu dürfen«, rief sie, ehe sie das Kaffeehaus verließ.
»Das Vergnügen war ganz meinerseits«, zirpte Leopold, wild in
Richtung Korber gestikulierend. Der stand einigermaßen ratlos da. »Eine
digitale Kamera, habe ich von einem Gast billig erstanden«, erklärte Leopold
ihm. »Müsste funktionieren. Wenn etwas Entscheidendes passiert, mach bitte ein
Foto.«
»Aber was soll denn …«, versuchte sich Korber zu wehren.
Doch Leopold kannte kein Mitleid. Mit einem »So beeil dich
doch, sonst ist sie futsch« stieß er seinen Freund förmlich zur Tür hinaus.
*
Auch Sitzen, Stehen, Lesen, in den Computer
Schauen und etwas an die Tafel Schreiben können einen Menschen anstrengen, wenn
er vorher nicht viel geschlafen hat. Korber spürte Blei in seinen Knochen, als
er sich auf der Straße weiterbewegte. Zudem war sein Hirn ganz woanders. Aber
anstatt in der ›schlaflosen Nacht‹ aus jenem Gedicht zu schwelgen, das er bis
in die frühen Morgenstunden für Manuela Stary auswendiggelernt hatte,
schlängelte er sich jetzt durch das lebendige Treiben eines schönen Maitages.
Vor ihm trippelte Bettina Ehrentraut beherzt ihres Weges. Sie
hatte, kaum im Freien, sofort ihr Handy gezückt und zu telefonieren begonnen.
Ein-, zweimal sah sie sich dabei nervös um. Ein Zeichen, dass sie etwas zu
verbergen hatte?
Korber war es ziemlich egal. Was sollte er, Leopolds vagen
Andeutungen zufolge, eigentlich herausfinden? ›Ob sich etwas tut‹, hatte
Leopold gemeint. Und was, bitteschön, sollte das heißen? Welche Destination
Bettina Ehrentraut wählte? Ob sie sich mit jemandem treffen würde? Ob sie eine
außergewöhnliche und überraschende Aktion setzen würde? Das konnte ja Stunden
dauern. Und so viel Zeit hatte Korber nicht.
Bettina betrat den Floridsdorfer Bahnhof und bewegte sich
weiter Richtung U-Bahn. Auch das noch. Wenn sie einen Zug bestieg, hieß das,
dass Korber ihr unter Umständen durch halb Wien folgen musste. Wenn er
allerdings jetzt schon aufgab, würde er sich sicher einiges von Leopold anhören
müssen.
Ein kleiner Zeitpolster blieb ihm noch. Unten am Bahnsteig
war die Luft warm und stickig. U-Bahn-Stationen zählten zu jenen Orten, an
denen das ganze Jahr über dasselbe Klima herrschte. Irgendwo auf der Rolltreppe
wurde man von einer bestimmten Temperatur und einem ganz eigenen Geruch
umfangen und nicht mehr losgelassen. Nur ein Lufthauch hie und da kündete von
der Außenwelt. Bettina Ehrentraut blickte
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