Verschwörungsmelange
War’s die Aufregung, war’s die Anstrengung, die ihn ein wenig außer
Atem hatten kommen lassen? Oder beutelte ihn das Alter tatsächlich schon ein
wenig? Egal, er musste etwas unternehmen. Deshalb fischte er den Zettel aus der
Sakkotasche, den er gestern in Ehrentrauts Koffer gefunden hatte: den Zettel
mit der Telefonnummer.
Es war ruhig im Kaffeehaus, nur Frau Wojtak hatte vorhin ein
Achtel Rotwein bestellt. Die konnte warten. Hastig drückte Leopold die Tasten
auf seinem Handy. Die Verbindung war hergestellt. Es läutete.
»Hallo?«, hörte er eine belegte männliche, unausgeschlafene
Stimme.
»Wer spricht bitte?«
Keine Antwort.
»Wer spricht bitte?«, wiederholte Leopold.
»Harry! Was gibt’s?«
«Welcher Harry? «
«Harry Leitner, zum Teufel nochmal. Was gibt’s? Wer sind
Sie?«
»Entschuldigung, falsch verbunden.«
Und schon hatte Leopold das Gespräch beendet. ›Da schau her,
Harry Leitner‹, dachte er für sich. ›Das ist ja interessant.‹
Mit neuem Schwung und Elan brachte er, vorbei am nervös
zurückweichenden Herrn Klampfer, das Achtel Rotwein zu Frau Wojtak.
*
Sie hatte sich kaum verändert. Noch sichtlich
gezeichnet von den Ereignissen um ihren Mann, aber mit einem Lächeln auf den
Lippen, sobald sie Leopold sah, betrat Bettina Ehrentraut um Punkt 13.30 Uhr
das Café Heller. Leopold spürte den schwachen Druck ihrer feuchten Hand, das
kurze Anlehnen ihrer Schultern an die seinen, ihre Wangen. Er schaute in ihre
Augen. Nein, da war keine Träne drin, und wie er Bettina kannte, würde auch
keine hineinkommen.
Sie setzte sich an den Tisch am ersten Fenster gleich neben
der Theke, bestellte eine Melange ›wie immer‹ und zündete sich eine Zigarette
an. Wie viele mochte sie an diesem Tag schon geraucht haben? Sie fuhr mit der
Hand durch ihr rotblond gefärbtes Haar, das in sanften Wellen auf ihre
Schultern herabfiel.
Das waren seit jeher Bettinas Stärken: ihr gepflegtes
Aussehen und die beinahe mühelose Art, mit jemandem ins Gespräch zu kommen. Sie
war ein sogenannter Konversationsmensch. Sie konnte viel reden, aber auch gut
zuhören, wenn es nötig war. Sie bevorzugte zwar die eher seichteren Themen aus
diversen Journalen, traute sich jedoch, zu allem ihre Meinung abzugeben, egal,
wie viel sie davon verstand. Sie wirkte umgänglich und sympathisch. Eine ideale
Friseurin, die man auch als Privatmensch mochte.
Bettina Ehrentraut eröffnete das Gespräch dann auch sofort
auf die direkte Art: »Ich sage es Ihnen gleich, Leopold, bedauern brauchen Sie
mich nicht. Es ist zwar traurig, wenn man einen Menschen verliert, mit dem man
lange beisammen war, aber geliebt haben Wolfgang und ich uns nicht mehr. Wir
haben uns respektiert und nebeneinander hergelebt, das war alles. Die letzte
Zeit hat er sogar schon eine eigene Wohnung gehabt.«
So kannte Leopold Bettina: Nicht viel um den heißen Brei
herumreden, gleich zur Sache kommen. Er hatte sich schon oft gefragt, wie sie
es zusammen mit Ehrentraut ausgehalten hatte, der von der Art her ihr genaues
Gegenteil gewesen war, zurückhaltend und verschlossen. Ein Geheimniskrämer und
Taktiker, der mit etwas erst dann herausrückte, wenn er den Zeitpunkt für
gekommen sah, Nutzen daraus zu ziehen, dessen emotionale Unterkühltheit einfach
nicht zu Betty, wie er sie rief, passte. Ebenfalls gepflegt, aber aalglatt und
undurchschaubar.
Freilich, wie man hörte, führte Bettina Ehrentraut einen
ziemlich aufwändigen Lebensstil, den sie wohl zum Großteil ihren Gatten hatte
finanzieren lassen. Sie hatte bald nach der Hochzeit ihren Beruf als Friseurin
aufgegeben und nur mehr aushilfsweise gearbeitet, später auch das nicht mehr.
Dafür ließ sie es sich zu Hause gut gehen und besuchte selbst den Friseur
einmal in der Woche. Dazu kamen Maniküre, Pediküre und Wellness-Urlaube mit
Freundinnen. Wolfgang Ehrentraut hatte nicht schlecht verdient, war aber
finanziell immer mehr ins Trudeln gekommen und hatte versucht, einen Teil
seiner Ausgaben durch Sportwetten hereinzubekommen, was die Situation jedoch
nur verschlimmert hatte. Die Position als Manager des geplanten Großklubs war
wohl der Strohhalm gewesen, an den er sich geklammert hatte.
Nach und nach fielen Leopold diese Dinge ein, als ihm Bettina
jetzt wieder gegenübersaß. »Ich hoffe, Sie erschrecken nicht über meine
Offenheit«, hörte er sie sagen. »Aber früher oder später kommt ja doch alles
heraus.«
»Erschrecken tu ich
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