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Verschwörungsmelange

Verschwörungsmelange

Titel: Verschwörungsmelange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Bauer
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österreichischer Dichter aus der Zeit des Biedermeier«,
erklärte Korber. »Seine Gedichte sind sehr melancholisch. Ich glaube, er ist
oft allein gewesen oder hat sich so gefühlt.« In den Schulbüchern hätte er wohl
gefunden: ›Nikolaus Lenau, eigentlich Nikolaus Niembsch, Edler von Strehlenau,
1802–1850; österreichischer Lyriker ungarischer Herkunft; Dichter des
Weltschmerzes; Tod in einer Nervenheilanstalt in geistiger Umnachtung.‹
    »Klingt interessant«, nickte Manuela.
    »Das Gedicht heißt ›Schlaflose Nacht‹.« Korber räusperte sich
und fand dann schnell in die Sprachmelodie der einzelnen Zeilen hinein. Er tat
sich viel leichter als am Tag zuvor. Manuela Stary schloss die Augen, lehnte
sich zurück und genoss den Vortrag. Mit angenehmer, sanfter Stimme brachte
Korber die Verse zu Gehör:
    »Schlaflose Nacht, du bist allein die Zeit
    der ungestörten Einsamkeit.

     
    Denn seine Herde treibt der laute Tag
    in unsern grünenden Gedankenhag,
    die schönsten Blüten werden abgefressen,
    zertreten oft im Keime und vergessen.

     
    Trägt aber uns der Schlaf mit weicher Hand
    ins Zauberboot, das heimlich stößt vom Strand,
    und lenkt das Boot im weiten Ozean
    der Traum herum, ein trunkner Steuermann,
    so sind wir nicht allein, denn bald gesellen
    die Launen uns der unbeherrschten Wellen
    mit Menschen mancherlei, vielleicht mit solchen,
    die feindlich unser Innres tief verletzt,
    bei deren Anblick sich das Herz entsetzt,
    getroffen von des Hasses kalten Dolchen;
    an denen gerne wir vorüberdenken,
    um tiefer nicht den Dolch ins Herz zu senken. –

     
    Dann wieder bringen uns die Wellenfluchten,
    wohin wir wachend nimmermehr gelangten,
    in der Vergangenheit geheimste Buchten,
    wo uns der Jugend Hoffnungen empfangen.
    Was aber hilft’s? wir wachen auf – entschwunden
    ist all das Glück, es schmerzen alte Wunden.

     
    Schlaflose Nacht, du bist allein die Zeit
    der ungestörten Einsamkeit.« [13]
    Einige Augenblicke danach blieb es ganz still in
der Küche, man hörte nur das Ticken der Wanduhr. Dann öffnete Manuela Stary die
Augen, blinzelte leicht, so als ob sie von einem Traum wieder in das Hier und
Jetzt zurückfinden müsse, und sagte: »Schön, wirklich sehr schön. Ich bin wie
auf einer Wolke geschwebt, und beinahe wäre ich eingedöst. Das ist doch eine
ganz andere Sprache, als wir sie heute verwenden. Was ist eigentlich ein
›Gedankenhag‹?«
    Korber lächelte. »Du hast recht, das ist wirklich ein
seltenes Wort. Ein ›Hag‹ war früher etwas, das von einer Hecke umschlossen war.
Wenn wir es auf das Gedicht umlegen, so heißt es, dass jeder von uns ein solch
eng umgrenztes Gebiet in sich trägt: die eigenen, kühnen Gedanken.«
    »Und dieser Lenau wollte sich ganz in seine Gedanken
zurückziehen.«
    »Na ja, eigentlich darf man es nicht so persönlich sehen. Er
gibt ja nur eine Idee weiter und spricht auch nicht direkt zu uns, sondern über
ein ›lyrisches Ich‹, das nicht mit dem Autor gleichzusetzen ist«, war Korber
jetzt wieder ganz Lehrer.
    »Das ist mir egal. Eigentlich ist er ein armer Kerl. Er
weicht den Menschen aus. Die verfolgen ihn dann alle dort, wo wir den Schlaf
als angenehm empfinden, bis in die Träume hinein. Dadurch kann er nicht
einschlafen und bleibt krampfhaft wach. Ein richtiger Einzelgänger, wenn du
mich fragst.«
    »Ich habe dir ja gesagt, Lenau muss sich oft allein gefühlt
haben. Zeitweise hat er die Menschen gemieden. Natürlich spiegeln sich solche
Gedanken in seinen Gedichten wider.«
    »Und so etwas kommt dann dabei heraus.« Manuela Stary
schüttelte den Kopf. »Versteh mich bitte nicht falsch, Thomas. Ein wunderbares
Gedicht, und du hast es auch wahnsinnig gut vorgetragen. Aber die ganze Nacht
aufbleiben, nur um seinen Gedanken nachzuhängen und dabei vor dem Schlaf
richtig Angst zu haben, das ist doch krank, oder?«
    »Künstler sind eben so«, meinte Korber gleichgültig. »Vieles
an ihnen werden wir nie ganz verstehen können. Das darf uns nicht stören.«
    »Tut es auch nicht«, winkte Manuela ab. »Aber das
nächste Mal bring bitte etwas Optimistischeres mit, sonst werde ich ganz
grüblerisch und melancholisch. Ein Liebesgedicht! Kannst du nicht ein nettes
Liebesgedicht aussuchen?«
    Ein Liebesgedicht! Irgendwie hatte Korber es
befürchtet. Am liebsten hätte er sich in seinen eigenen Gedankenhag
zurückgezogen, aber das wurde ihm in diesem eigenartigen poetischen Verhältnis
offenbar immer unmöglicher.

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