Verschwörungsmelange
blicken. Sonst gnade Ihnen Gott, und
Ihre einzige Hoffnung ist, dass Sie sich nicht mehr daran erinnern, was gewesen
ist, wenn Sie aufwachen.«
Mit seltsam weichen Knien schleppte sich Korber ins
Vorzimmer. Stary blieb dicht an ihm dran. Plötzlich spürte Korber, wie ihn
Starys Speichel voll im Auge traf.
»Nicht abwischen, sondern weitergehen, und zwar flott«,
kommandierte Stary. Dabei trieb er Korber förmlich zur Tür. »Und nur ja nicht
den Mund aufmachen. Sie haben nämlich heute schon genug geredet, Herr Lehrer.
Und das ist es, was ich von Ihren Reden halte.«
Schon hatte Korber eine zweite Ladung Speichel im Auge. Dann
spürte er, wie er mit einem aggressiven »Auf Wiedersehen« zur Tür
hinausgeschubst wurde. Während er die Stiegen hinunterstolperte, fuhr er sich
mit einem Taschentuch über das Gesicht.
Er taumelte hinaus ins Freie. Es tat gut, wieder frische Luft
zu atmen. Er sog sie tief in sich ein und ging los, ohne zu wissen wohin.
Erst jetzt merkte er, dass er keine Schuhe anhatte.
*
Wenn die letzten Gäste sich anschicken, das Café
Heller zu verlassen, die Billardbretter geputzt und abgedeckt sind, und
vielleicht nur noch Herr Sedlacek eine Partie Schach gegen Herrn Heller spielt,
dann schaut Frau Heller besonders misstrauisch Richtung Eingangstür. Wie oft
war es schon vorgekommen, dass gerade um diese Zeit, knapp vor Mitternacht, ein
Stammgast hereingewackelt kam und dann die Nacht zum Tag machen wollte, während
man sich selbst gerade mit dem Gedanken angefreundet hatte, den Abend auf eine
beschauliche Art und Weise ausklingen zu lassen. Noch schlimmer war es, wenn
plötzlich aus irgendeiner Ecke allerlei lichtscheues Gesindel hervorkroch, um
›ein letztes Gläschen‹ zu sich zu nehmen. Man musste dann mit dem lauten Ausruf
»Sperrstunde!« darauf hinweisen, dass man auf einen solchen Besuch nicht
neugierig war, und dass es genug Kneipen und Spelunken rund um den
Floridsdorfer Spitz gab, um ein solches Publikum aufzunehmen. Gerade die lauen
Maiabende waren geradezu prädestiniert dafür, späte Gäste, die den rechten Weg
nach Hause nicht finden wollten, in Richtung Kaffeehaus zu locken, Menschen,
die sich davor in Heurigen- oder Schanigärten [19] zum
Nutzen anderer Wirte gütlich getan hatten und jetzt nur Schwierigkeiten
machten.
Auf solche Leute war Frau Heller nicht erpicht. Sie waren ihr
ein Dorn im Auge. Und gerade der heutige Donnerstag hatte Aufregungen genug mit
sich gebracht. Frau Heller hatte noch die schneidende Stimme Herrn Schebestas
im Ohr – und die Stimme Leopolds, der seit dem frühen Abend beinahe stündlich
bemerkte: »Solche Händetrockner bekommen wir ganz billig, Sie werden sehen, so
gebrauchte. Ich kenne auch einen Elektriker, der sie praktisch umsonst
montiert.«
Nein, an einem solchen Abend musste man rechtzeitig
zusperren, ehe es eine unangenehme Überraschung gab. Frau Heller nahm die
Gruppe Jugendlicher ins Visier, die hinten mit dem Austrinken beschäftigt war,
und begann, mit ihrem großen Schlüsselbund zu klimpern: ein untrügliches
Zeichen dafür, dass das Café Heller im Begriff war, seine Pforten zu schließen.
Als dann die große Gestalt mit tief ins Gesicht gezogenem
Schlapphut und einer überdimensionalen Sonnenbrille hereintorkelte, verschlug
es ihr beinahe die Rede. »Hinaus! Bitte gehen Sie«, rief sie, und beinahe
überschlug sich ihre Stimme. »Wir sperren nämlich gleich zu. Versuchen Sie ja
nicht, noch eine Bestellung aufzugeben, es hat überhaupt keinen Sinn.«
»Morgen ab 7 Uhr stehen wir wieder zu Diensten«, ergänzte
Leopold. »Da sind die Kipferl dann auch ganz frisch.«
»Kipferl! Blödsinn! Sag bloß, du erkennst mich nicht,
Leopold«, bemühte Thomas Korber sich, zusammenhängend zu sprechen.
»Nein«, sagte Leopold und musterte seinen Freund verwundert.
»Doch, du bist es. Wie hast du dich denn verkleidet? Was war schon wieder los?«
»Kleine Shoppingtour«, erklärte Korber. »Sozusagen
erzwungenermaßen.« Er nahm die Sonnenbrille, diesmal keineswegs Zeichen
frühsommerlichen Hochgefühls, ab, und zeigte seinem Freund das dahinter
verborgene dunkelblaue Auge.
»Der Watschenausteiler«, bemerkte Leopold nur trocken. »Aber
sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.«
»Wir haben tapfer gekämpft, er hat auch etwas abgekriegt«,
berichtete Korber. Dann erzählte er Leopold kurz von seinem abenteuerlichen
Nachmittag. »In der ganzen Aufregung habe ich
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