Verschwörungsmelange
Ecke dröhnte, zu Korbers freudiger Überraschung, laute
Musik. Die wenigen Gäste hatten sich gleichmäßig auf das Lokal verteilt und
erweckten den Eindruck eines menschlichen Stilllebens. In unregelmäßigen Abständen
blinkten die Lichter eines Spielautomaten auf. An der Bar saß, Bier und Schnaps
vor sich, Harry Leitner. Er wirkte erschöpft und müde wie jemand, der schon
1.000 Fußballspiele hinter sich hat und die Spuren, die sie hinterlassen haben,
am ganzen Körper spürt. Seine Augen wurden magisch vom Barlicht angezogen, das
für ihn jetzt der Mittelpunkt der Welt war und die Antwort auf all seine
Fragen.
»Einen weißen Spritzer für mich«, bestellte Leopold bei dem
Mann hinter der Bar. »Und dem Herrn da«, er zeigte auf Leitner, »geben Sie auch
eine Nachfüllung.«
»Er hat aber schon ordentlich getankt«, gab der Barkeeper zu
bedenken.
»Ist das denn so schlimm?«, fragte Leopold. Ein solcher
Hinweis war das Letzte, was er an diesem Ort erwartet hätte.
»Manchmal wird er eben laut«, kam es knapp von hinter der
Theke. »Und wenn er draußen hinfällt, helfen Sie ihm diesmal auf die Beine.«
Dann standen auch schon Bier, Schnaps und weißer Spritzer da. Leopold zahlte
mit einem Zehneuroschein.
»Erkennen Sie mich?«, wandte er sich jetzt an Harry. »Vor
zwei Tagen waren Sie bei uns im Kaffeehaus, bei der kleinen Versammlung der
›Freunde der Eintracht‹. Ich war der Ober.«
Harrys Augen gingen Leopolds Gesicht prüfend auf und ab. »Ich
kann nicht jeden kennen«, meinte er dann gleichgültig.
»Ich habe Ihnen damals ein Bier und einen Weinbrand
kredenzt«, versuchte Leopold, sein Gedächtnis aufzufrischen. Harry schien gar
nicht zu realisieren, dass er auf das nächste Getränk eingeladen war.
Leopold ließ sich nicht beirren. »Da habe ich mich erinnert«,
fuhr er fort. »An Ihre tollen Spiele, die herrlichen Flügelläufe. Und auf
einmal waren Sie weg. Warum sind Sie so plötzlich nach Linz?«
Harry schüttelte nur den Kopf. »Linz. Na, warum wohl? Weil es
dort so unvergleichlich toll ist?« Seine müden Augen, die immer irgendwie auf
der Lauer lagen, wurden größer und verliehen seinem Gesicht jetzt groteske
Züge. Er machte eine eindeutige Handbewegung, die so viel heißen sollte wie:
Fuß ab. »Ich wollte keinen mehr sehen«, sagte er dann.
»Ach ja, die dumme Geschichte.« Leopold tat so, als erinnerte
er sich erst jetzt. »Glauben Sie, der Verteidiger hat das Foul damals
absichtlich begangen?«
»Jedes Foul ist Absicht«, kommentierte Harry knapp.
»Natürlich, aber ich habe es anders gemeint. Ich habe
gemeint, ob er Sie absichtlich verletzt hat.«
Harry schwieg. Er schaute wieder hinauf in das Barlicht, als
ob es irgendeine Botschaft für ihn bereithielte. Er machte umständliche
Zeichen, die sich wohl auf die körperlichen Maße seines damaligen Gegenspielers
beziehen sollten. »Über 1,90 Meter groß«, murmelte er. »Ein Bär von einem Mann.
Roman Zeleny war in der ganzen Liga gefürchtet.«
»Vielleicht hat er Sie absichtlich verletzt. Vielleicht hat
er es gewollt.«
Harry schien mit einem Mal wach. Er dachte nach. Er rang mit
sich selbst. »Nein«, stieß er dann hervor.
»Wenn es aber so war? Wenn es Absicht war?«
»Warum?«, grölte Harry. Er nahm seine Kräfte zusammen, wollte
vom Barhocker aufstehen. »Warum, verdammt noch einmal?«
»Was hätten Sie getan, wenn Sie gewusst hätten, dass es
Absicht war? Dass er darauf aus war, Sie zu verletzen? Kaltblütig und gemein?«,
bohrte Leopold mitleidlos weiter.
»Jetzt hören Sie aber auf, und lassen Sie mich in Frieden«,
brüllte Harry gereizt. Er kippte den Schnaps hinunter. Seine Finger krallten
sich dabei so fest um das kleine Glas, als ob er es zerbrechen und dann die
Splitter einzeln aufessen wollte.
»He, Harry, was ist schon wieder«, rührte sich der Mann
hinter der Theke. »Hört bloß mit der Debatte auf, sonst verschwindet ihr hier
alle beide«, sagte er zu Leopold. »Ich hab ja gewusst, dass der hier nichts
mehr verträgt.«
Harry war schon wieder in sich zusammengesunken. Seine Augen
leuchteten nur mehr schwach. Die kurze Anstrengung hatte Kraft gekostet. Der
Alkohol nahm jetzt wieder Besitz von seinem Hirn und machte ihn stumpf und
müde.
Leopold nutzte die Gelegenheit, um sich nach seinem Freund
Thomas umzuschauen. In seinen Bemühungen, aus Harry Leitner etwas halbwegs
Vernünftiges herauszubringen, hätte er beinahe auf ihn vergessen. Und wenn
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