Verschwörungsmelange
Thomas Korber sich einer gewissen, durch ein missglücktes Liebesabenteuer
hervorgerufenen Melancholie hingab, musste man auf ihn Acht geben. Sehr sogar.
Da sah Leopold ihn auch schon. In der hintersten
Ecke, wo das schummrige Licht noch schummriger war als im Rest des Lokals, saß
er an einem Tisch, und er saß nicht allein. Er unterhielt sich angeregt mit
einer Frau mittleren Alters, deren Gesichtszüge sich geschickt hinter einer
gehörigen Portion Schminke verbargen. Beide prosteten einander zu, bliesen sich
gegenseitig den Zigarettenrauch ins Gesicht und schienen sich auch sonst
prächtig zu verstehen. Korber klopfte dabei zusätzlich mit seinen Fingern zum
Takt der Musik, die aus der Musikbox kam.
Leopold verließ seinen Platz an der Theke, um kurz nach dem
Rechten zu sehen.
»Prost, Leopold«, grüßte ihn Korber sofort jovial. »Komm,
setz dich ein bisschen zu uns. Darf ich dir Beate vorstellen? Sie ist eine ganz
reizende Plaudertasche.«
»Geh, hör auf, Schatzerl.« Die sichtlich angeheiterte Beate
kicherte glucksend. »Wer plaudert mehr, ich oder du? Na komm, sag schon.«
»Darf ich euer geistreiches Gespräch kurz
unterbrechen?«, fragte Leopold. »Ich möchte vorschlagen, dass wir demnächst
aufbrechen, Thomas. Aus diesem Kerl ist nicht viel herauszukriegen, der wird
höchstens rabiat.«
»Ich sehe nicht ein, warum ich jetzt schon gehen soll«,
wehrte Korber ab. »Die Bude hier ist eigentlich viel gemütlicher, als ich sie
in Erinnerung habe. Auch der Wein ist nicht so schlecht. Er fängt an, mir
richtig zu schmecken.«
»Eben deshalb«, mahnte Leopold. »Du hast doch in der Früh
wieder Unterricht.«
»Was, ein Lehrer bist du?«, kicherte Beate. »Kannst du mir
nicht auch eine Stunde geben? Ich bin ganz brav. Oder nein, ich bin lieber
schlimm.«
»Du siehst, ich unterhalte mich prächtig«, lächelte Korber.
»Wem bringst du eigentlich mehr bei, den Mädchen oder den
Buben?«, kam es von Beate mit einer gehörigen Portion Zungenschlag.
»Vielleicht denkst du einmal an unsere Abmachung«, erinnerte
Leopold seinen Freund ungeduldig.
Diese ›Abmachung‹ bestand im Wesentlichen darin, dass Leopold
von Korber die Ermächtigung hatte, ihn aus Situationen, in denen ihn
reichlicher Alkoholgenuss, Stimmungsschwankungen und eine nicht zu übersehende
Geilheit auf Wesen des anderen Geschlechts gefährlich willenlos machten, zu
retten, im schlimmsten Fall auch gegen seinen Willen. Er musste ihn
abschleppen, ehe etwas Unangenehmes und nicht mehr wieder Gutzumachendes
geschah. Natürlich riskierte Leopold dabei endlose Diskussionen mit Korber, der
zunächst gar nicht gewillt war, darauf einzugehen, ehe er schließlich doch
stets zu seinem eigenen Vorteil nachgab. Auch jetzt war es so.
»Ich verstehe dich nicht. Wir sind gerade erst gekommen«,
protestierte Korber, immer noch guter Laune. »Und vergiss nicht, du selbst hast
mich hierher verschleppt.«
»Das mag ja sein. Aber unser Besuch hier hat seinen Zweck
leider nicht ganz erfüllt. Ich sehe nicht ein, warum ich noch längere Zeit an
diesem ungastlichen Ort verbringen soll. Und allein möchte ich dich in diesem
Zustand auch nicht zurücklassen.«
»Musst du etwa schon unter die Bettdecke kriechen, Herr
Lehrer?«, meldete sich Beate wieder zu Wort. »Das könnten wir doch gemeinsam
tun. Ich wohne gar nicht weit von hier. Aber vorher trinken wir einen
Gute-Nacht-Schluck.«
»Das wollte ich gerade selbst vorschlagen«, meinte Korber
aufgekratzt.
Leopold machte den Mund auf, um etwas zu sagen, aber im
selben Augenblick ertönte aus der Musikbox in voller Lautstärke der alte
Rolling-Stones-Hit ›Angie‹. Beate war ganz außer sich. »Endlich! Das habe ich schon
vor einer guten halben Stunde gedrückt«, kreischte sie. »Komm!«
Sie stand auf und begann, eng umschlungen mit Korber zu
tanzen.
Und auch in Harry Leitner, der beinahe an der Bar
eingeschlafen wäre, kam wieder Bewegung. »Angie«, brüllte er in einem total
misslungenen Versuch, mitzusingen. »Angie! Meine Angie!«
»Jetzt geht das wieder los«, keifte der Mann hinter der
Theke. »Wenn du nicht augenblicklich verschwindest, aber in Ruhe und ohne
Krach, könnte es wirklich sein, dass du das letzte Mal hier herinnen warst.«
»Aber es ist doch meine Angie«, war Harry völlig
konsterniert.
»Ja, wissen wir.« Der Thekenheini sah auf einmal so aus, als
sei nicht mit ihm zu spaßen. »Also los, verschwinde.«
»Einen Moment«, rief
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