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Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Titel: Verschwundene Schätze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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Dienstzeit als Diplomat. Natürlich stellte sie dem Sohn niemals Fragen, aber die von Frauenhand adressierten Briefumschläge, die während Bálints Urlaub aus fernen Ländern in Dénestornya eintrafen, erfreuten sie. Obwohl sie nie jemanden befragte, wusste sie von den Bediensteten auch damals alles, als er nächtlich in das benachbarte Marosszilvás hinüberzureiten pflegte, um Dinóra Malhuysen zu besuchen. Sie verurteilte Frauen dieser Art nicht, sie hielt sie bloß für anders, für abweichend beschaffen, und Kokotten oder Damen, ob sie nun einen oder mehrere Liebhaber hatten, warf sie in den gleichen Topf; in ihrer Sicht galten sie als das Spielzeug von Männern, als Wesen, denen es gar nicht gegeben war, tiefere Gefühle zu erwecken.
    Adrienne jagte ihr als erste Frau Angst ein. Sie erkannte sehr wohl, wie ernst ihr Sohn die Dinge nahm, wie schwer er anderthalb Jahre zuvor gelitten hatte, als er aus Venedig heimgekehrt war; und sie sah, dass jetzt, seitdem alles neu begonnen hatte, Bálint die von ihm übernommenen Arbeiten danach einzuteilen pflegte, ob der gewählte Ort ihm Gelegenheit bot, sich mit Adrienne zu treffen. Aus all diesen Gründen hasste sie die Frau. Vielleicht war Adrienne das einzige Wesen, das sie jemals hasste, und zwar umso erbitterter und erbarmungsloser, als sie allen ihr vorgesetzten Klatschgeschichten, selbst den bösartigsten, Glauben schenkte; und so gab es niemanden in der Welt, den sie für so niederträchtig hielt wie Adrienne. Die Annahme, Bálint habe sie verlassen und beschämt, bedeutete darum Freude und Triumph.

    Ein weiteres Ereignis verband sich mit dem Wohltätigkeitsbasar. Der »Woiwode«, Sándor Kendy – »Kajsza«, der Mann mit dem schiefen Mund –, hatte mit angesehen, wie man den alten Dániel Kendy und László Gyerőffy, beide betrunken, stützen und aus dem Saal geleiten musste. Bei Onkel Dani, seinem Cousin, hatte er sich schon seit langem daran gewöhnt, dass er, sobald er dazu Gelegenheit fand, sich volllaufen ließ. Dies pflegte er mit einem einzigen Spruch zu quittieren: »Altes Schwein!« Ihm war ohnehin nicht mehr zu helfen.
    László Gyerőffys Fall aber beschäftigte ihn weiter. Er sah ihn ständig vor sich, wie er unsicher aufstand, torkelnd einige Schritte machte und wie er von zwei Seiten untergefasst und zur Tür hinausgeführt werden musste, da seine Beine ihn nicht mehr trugen. Die Szene spielte sich in seiner Nähe ab. Im Augenblick, da man László auf die Beine stellte, stand er ihm zugewandt. Wegen der Leute, die ihn umgaben, war nur der obere Teil seines Gesichts sichtbar: die Stirn und die zusammengewachsenen Brauen. Als ob er die Augen auf ihn gerichtet hätte! Dieser zornige, ein wenig glasige Blick traf den alten Kendy, er verschmolz mit alten Erinnerungen, mit dem Blick einer anderen Person. Ihn dünkte, diese andere sehe ihn an, sie bitte ihn um Hilfe … Dummheiten! Der junge Mann war stockbetrunken, der Alkohol hatte ihm alle Sinne geraubt, auch wusste er darüber nichts, konnte nichts wissen, das Ganze ging ihn nichts an! Aber jener Blick … sein Blick, er glich doch jenem, er war derselbe …
    Zwei Tage später schickte er seinen Diener hin und ließ László ausrichten, ihn in seiner Wohnung auf der Belszén-Straße aufzusuchen. Er erwarte ihn zu Mittag um zwölf.

    Sie schwiegen vorerst während einiger Minuten, als sie einander gegenübersaßen. Dann hob der »Woiwode« an: »Du Rindvieh!« So viel nur sagte er und hielt inne.
    Die jähe Grobheit wirkte dermaßen überraschend, dass der junge Mann sich nicht einmal beleidigt fühlte. Verwundert schaute er auf den alten Herrn. Doch der greise Kajsza legte jetzt los. Er zählte auf, was er von Lászlós Leben und Leichtsinn, Schulden und Trunksucht gehört hatte. Er sprach hart, gebrauchte auch viele unanständige Wörter, wie er das nun einmal zu tun pflegte.
    Der junge Mann lauschte wortlos. Dieser stämmige Mann mit der breiten Brust, der Adlernase und dem schiefen Mund strahlte so viel Kraft und Willen aus, hinter seinen groben Worten steckte vielleicht so viel heimliches Wohlwollen, dass sich László jetzt noch friedfertig, ja beinahe demütig benahm. Das, was Kajsza so hart vorbrachte, war letztlich dasselbe, was sich László oft selber zum Vorwurf machte; deswegen eben klagte auch er sich an, deswegen verachtete er sich selber, wenn es gelegentlich vorkam, dass er an einem Morgen nüchtern erwachte. In solchen Stunden warf er sich dasselbe an den Kopf, und es waren diese

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