Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
setzte schnell ein paar Zeilen aufs Papier:
»U. war heute früh hier. Er ist völlig wahnsinnig. Er ist wieder weggefahren. Wohin, das weiß ich nicht. Gib auf Dich acht! Am Nachmittag mache ich einen Spaziergang. Wenn bis dahin nichts geschieht, sollst Du mich auf dem Hauptplatz suchen …«
Sie läutete. Ihre kleine, alte Zofe, Jolán, erschien erst nach einer guten Weile. Ihr Zimmer im Hauptgebäude war ziemlich weit entfernt, auch wirkte sie in dieser recht frühen Stunde noch ein wenig schläfrig. Adrienne lag bereits wieder im Bett.
»Bring das gleich ins Haus Abády an der Farkas-Straße. Sag, dass man den Brief dem Grafen Bálint auf der Stelle aushändigen soll. Schläft er, dann muss man ihn wecken, und ich bitte um eine Antwort.«
Aufgeschreckt und bekümmert suchte sie auf solche Weise, ein Lebenszeichen zu bekommen. Etwa eine Dreiviertelstunde verstrich. Die Warterei quälte sie immer stärker, und die Uhr am Kirchturm in der Nachbarschaft hatte schon acht geschlagen, als Jolán endlich zurückkehrte. Als sie mit friedlicher Miene eintrat, fiel von Addy jede Besorgnis ab. Zur Angst gab es offenbar keinen Grund. Sie brauchte kaum mehr BAs Visitenkarte, auf der nur zwei englische Wörter standen: »All right!« Die zwei kurzen Wörter taten ihr dennoch gut. Sie las sie und fiel gleich in tiefen Schlaf.
Beim Spaziergang konnte sie nichts erzählen, da Margitka sie begleitete. Auch später bei der Jause war dies wegen der vielen Besucher nicht möglich, die Laczók-Mädchen waren da und die übliche Gruppe männlicher Gäste, Ádám Alvinczy, Pityu Kendy und die anderen. Zu einer vertraulichen Aussprache bot sich keine Gelegenheit. Einen Satz, in dem »so wie gestern« vorkam, baute sie in die Unterhaltung als Erinnerungen an den Basar ein; jedermann durfte es hören. Einen Sinn gaben der Formel nur die Betonung und ihre Augen, mit denen sie bei diesen Worten Abádys Blick kreuzte. Der Mann schloss als Antwort kurz die Lider, während er den Kopf abdrehte. Dies war eine Technik der geheimnisvollen Zeichen.
Uzdy war bis zum Abend nicht vom Land zurückgekehrt. Er blieb auch in der Nacht aus. So konnte Adrienne endlich alles erzählen und ihrem Freund auch die drei kleinen Löcher in der Wand zeigen, drei mit Kalkstaub gefüllte, runde Tupfen in der buttergelben Tapete. Sie berechneten auch – es war fast so etwas wie ein Spiel –, dass die Bahn der Kugeln von der Tür bis zur Wand genau durch Bálints Oberkörper geführt hätte, wie er sich jetzt über Addy auf die Ellbogen stützte. Als habe Uzdy auf ein Phantombild des kurz zuvor verschwundenen Abády gezielt und es ins Herz getroffen. Sie lachten und wollten das Geschehene von seiner scherzhaft komischen Seite sehen. Die Frau indes täuschte dies nur vor. Nach der unerwarteten Szene in der Morgendämmerung erschien die Lage in neuem Licht. Sie konnte nicht mehr daran glauben, dass sich Uzdy mit einer Scheidung abfinden würde. Sie hatte daran auch bisher nicht allzu sehr geglaubt, doch nun war es unvorstellbar geworden. Im Gegenteil, die Gefahr zeichnete sich jetzt klarer ab. Der Umstand, dass Uzdy über sie hinweggeschossen hatte, auf ein Ziel über ihren Körper, dass die vorbeisausenden Kugeln kaum eine Stunde früher noch Bálint getroffen hätten, dass er mit der Schießerei gleich aufhörte, als sie sich aufrichtete, all dies bewies, dass nicht ihr, sondern ihrem Freund Gefahr drohte und dass sie sein Leben aufs Spiel setzte, sollte sie das heikle Thema zur Sprache bringen. So tollkühn sie aber zu handeln pflegte, wenn es nur um sie selber ging, so sehr musste sie darauf achten, den Mann, den sie liebte, nicht zu gefährden. Hierüber hatte sie den ganzen Tag gegrübelt, obwohl ihr dies niemand ansah. Sie war schließlich zur Überzeugung gekommen, dass sie irgendwie anders vorgehen müsste, erst etwas versuchen, wenn Bálint nicht in der Nähe, sondern in Budapest oder – noch besser – im Ausland weilte; zuvor durfte nichts unternommen werden, in keiner Weise, und selbst wenn es dazu käme, müsste man es vorsichtig anstellen, einen Vorwand suchen oder dem Ganzen einen anderen Anschein geben. Etwas musste man erfinden, bis es so weit wäre. Sie erwähnte jedoch nichts von all dem, sie tat, als habe sich nichts geändert. Sie zeigte sich weiterhin bereit, mit ihrem Mann zu sprechen, denn sie wusste, dass Bálint, sollte sie ihre Zusage zurücknehmen, imstande war, die Angelegenheit in die eigene Hand zu nehmen.
Sie mussten folglich
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