Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
Anklagen, vor denen er in den Alkohol flüchtete. Manches, vieles kam noch hinzu, wovor er ebenso floh und wovon der »Woiwode« nichts wusste, nichts wissen konnte. Ihm kam nun so vor, dass nicht ein anderer seine Sünden aufzählte und seine Liederlichkeit und Verkommenheit beim Namen nannte, ihm schien vielmehr, er blicke in den Spiegel, aus dem ihm sein zweites, anklagendes, strenges Ich all dies vorrechnete. So ging es eine gute Weile. László schaute sich um. Sein den Alkohol gewohnter Organismus schrie nach scharfen Getränken. Nirgends gab es Branntwein; er durfte auch nicht darum bitten, dies gehörte sich nicht. Der alte Kajsza erteilte nun Ratschläge, die bei ihm natürlich die Form von Befehlen annahmen.
»Du wirst beim Waisenamt ein Gesuch einreichen. Verlangst, dass man dich für minderjährig erklärt, wenn du dich in deinen eigenen Angelegenheiten schon dermaßen wie ein Esel benimmst. Ich akzeptiere es, dein Vormund zu sein. Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn ich es nicht fertigbrächte, in deinem Haus für Ordnung zu sorgen. Ich werde nicht dulden, dass du dich selber zugrunde richtest.«
Lászlós Gesicht veränderte sich. Abermals das gleiche Wort, das auch Bálint gebraucht hatte: »Du richtest dich selber zugrunde!« Schon wieder jemand, der damit anfing. Schon wieder wollte ihn jemand retten, über ihn verfügen, womöglich an seiner statt bezahlen, so wie das einst Frau Berédy getan und unlängst Dodó angeboten hatte. Maßloser Zorn erfüllte ihn, Rebellion gegen die Einmischung. Rebellion der Schwäche gegen die Stärke.
»Aber wen geht es etwas an, wenn ich mich zugrunde richte?«, rief er wutentbrannt und erhob sich. Seine Worte flossen nun aus ihm heraus. »Mein ganzes Leben lang wurde ich gegängelt, seit meiner frühen Kindheit zerrten mich alle ständig hin und her, mein Vormund, meine Tanten, jedermann. Ein jeder verfügt, jeder befiehlt. Nun denn: nein! Es reicht! Es reicht! Ich tue, was mir beliebt, ich lebe, wie ich will.« Solche Reden führte er unter vielen Wiederholungen und suchte sich selber zu bestärken, indem er schrie: »Das geht nur mich etwas an und sonst keinen!« Sowie: »Ich dulde keine Einmischung, dulde sie von niemandem, von niemandem!« Bis er dann zuletzt, von einer breit ausladenden Geste seines Arms begleitet, beinahe schon brüllte: »Wenn ich mich zugrunde richten will, dann richte ich mich eben zugrunde! Jeder hat das Recht, mit seinem Leben zu tun, was er will!«
Der alte Kajsza saß bewegungslos. Er hörte ihm stumm zu. Doch nicht nur das, er beobachtete ihn auch. Diese zusammengewachsenen Brauen, die sonderbare Armbewegung, als ob er nach hinten greifen, die Worte von dort holen und vor sich hinschleudern würde … Und auch sein letzter Satz, jeder habe das Recht, mit seinem Leben zu tun, was er wolle … All dies, wie atavistisch! Eine alte, sehr alte Erinnerung wurde in ihm lebendig: Júlia Ladossa. Auch sie hatte so gesprochen, das Gleiche gesagt, auch sie war von solch rebellischer Natur gewesen. Auch sie hatte sich selbst zugrunde gerichtet. Willentlich. Bewusst. Er hatte sie als junges Mädchen schon geliebt, aber sie heiratete aus Trotz einen anderen … und später, auch da floh sie aus Trotz und zog in die weite Welt – nicht mit ihm, aber seinetwegen. Sie beide, zwei unnachgiebige Naturen, waren aufeinandergeprallt … Damals hatte sie so gesprochen wie jetzt ihr Sohn, damals warf sie die Arme so nach vorne, in jener Stunde blickten ihn die gleichen Augen an …
Der alte Mann erhob sich. Er legte die Hand auf die Schulter des Jünglings. »Sei mir nicht bös, Neffe, man soll nicht böse sein, das tut nicht gut, und dafür gibt es keinen Grund, und ich … ich bitte dich um Verzeihung!« Nie hatte der »Woiwode« derartiges gesagt, nie so mild gesprochen: »Es gibt nicht so viel Liebe in der Welt, dass wir sie von uns stoßen und verschleudern dürften. Ich weiß, dass dir davon weniger zuteilgeworden ist als anderen. Ich verstehe das. Vielleicht habe ich das, was ich vorhin gesagt habe, schlecht gesagt, vielleicht hätte ich es anders tun sollen. Auch hast du weder Vater noch … noch Mutter. Vieles hat dir im Leben gefehlt … Das trägst du, das lastet auf dir. Aber ich würde mich freuen, wenn es dir gelänge, dich auf deine eigene Weise zusammenzureißen, und ich … ich hülfe dir … wenn du meinen Beistand annehmen wolltest …«
Eine überraschende Veränderung trat bei diesen stoßweise vorgebrachten Sätzen auf
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