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Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Titel: Verschwundene Schätze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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vorn legte. Bálint stieg folglich ab und marschierte zu Fuß weiter. Da er schneller vorankam als die Pferde, hatte er sie nach einigen Minuten schon weit hinter sich gelassen. Die ungestörte Ruhe des großen Waldes umgab ihn. Mehrere parallel verlaufende Pfade schlängelten sich nebeneinander, was, zumal in Steilhängen, oft vorkommt: Wege oben oder weiter unten. Alle führten zur Priszlop-Wiese. Er wählte die obere Strecke. Lichter Hochwald folgte auf dicht stehende, junge Fichten, ältere Bäume, die aber wegen der Felsen in der Nähe eher krüppelhaft wirkten; Moos hatte ihren Stamm, die Zweige und selbst die kleinsten Äste überzogen, und Bärenklau wuchs üppig auf dem abschüssigen Boden. Sonst aber bedeckten die knallgrünen Blätter der Heidelbeersträucher alles, als wären sie gesät.
    Bálint blieb, hier angelangt, ob des überraschenden Anblicks unwillkürlich stehen. Im Kontrast zu dem giftgrünen Hintergrund erschienen die Baumstämme violett; in langen Fransen und Streifen hing ein silberner Moosschleier auf, über und vor ihnen, manchmal konnte man meinen, da sei ein Netz gewoben. Außer Grün, Violett und Silber gab es keine anderen Farben, so weit das Auge reichte, und je länger man den Wald betrachtete, desto verzauberter, desto unwahrscheinlicher wirkte er. Im leichten Luftzug schwankten in der Nähe nur einige dünne Stämme, dahinter aber wurden sie immer zahlreicher, während sich weitere im dunstigen Hintergrund nur als Linien abzeichneten, in unermessliche Ferne entrückt schienen, und dennoch waren es Baumstämme, die wie Säulen glänzend veilchenfarbig hochschossen, viele, nicht zu zählen und doch beinahe rhythmisch wie Musik. Zu ihren Füßen ergoss sich von oben herab der glänzend grüne Teppich dem Tal zu, wo er hinter dem Fransenwerk des alles bedeckenden Moosvorhangs verschwand. Und dieser Teppich formte Wellen, wie von Wirbeln hochgeworfen, beinahe glitzernd. Der eine oder andere Felsbrocken, schwarz wie Steinkohle, da es sich um nassen Schiefer handelte, unterstrich noch den Glanz. Dies ist das an Wasser reichste Gestein. Die aus seinen harten, kantigen Flächen heraustretenden winzigen Tropfen tränkten unablässig die Vielzahl der alles verhüllenden Blätter. Die dichte Schicht gefallener Blätter auf dem Pfad war durchnässt und gluckste unter jedem Schritt.
    Bálint zog in diesem Märchenwald langsam weiter. Ihm war, als könnte sich ihm jeden Augenblick ein nie vermutetes Geheimnis offenbaren, als könnte es unerwartet heraustreten hinter dem gefransten Vorhang der Moosgeflechte. Und wie immer, wenn Schönheit ihn mitriss, erinnerte er sich an Adrienne, als sei sie, seien ihr heller Körper, die vollen Lippen und die gelben Augen die Quelle allen Entzückens in dieser Welt. Er meinte beinahe zu sehen, wie sie ihm zwischen den violetten Stämmen und den Silberfäden entgegenkam, wie sie mit ihren weit ausholenden Schritten über den bewegungslosen Glanz des Meers von Heidelbeersträuchern glitt. Wenn sie seine Frau wird, dachte er, würden sie einmal gerade in dieser Jahreszeit und zu dieser Stunde einen Ausflug hierher unternehmen, Hand in Hand diesen stummen Zauberwald durchqueren.
    Leiser Flügelschlag. Ein Vogel war vor ihm aufgeflattert, ein ganz kleiner Vogel, kaum größer als eine Wachtel. Er flog nur einige Meter weit, dort schlug er auf dem Boden auf. Dann erhob er sich wieder. Abády bekam ihn nun besser zu sehen. Ein Schnepfen-Junges. Es wirkte sehr unbeholfen. Sein Schnabel war unproportioniert lang, fast wie bei den ausgewachsenen Exemplaren, sein Leib aber viel kleiner, die Schwingen trugen es noch kaum, darum schien es beim Flug stets vornüberzustürzen. Noch zweimal flatterte es auf, hernach nicht mehr. Gewiss hatte die große Anstrengung das arme Vögelein erschöpft. Es duckte sich. Bálint ging rasch vorbei, um die kleine Schnepfe nicht weiter zu stören.

    Der Pfad führte ihn etwa nach einer Viertelstunde an den Rand einer steilen Felswand. Es war ein fünf bis sechs Meter hoher, senkrechter Abhang. Verkrüppelte Tannen und Gebirgsahorn klammerten sich an das Gestein, ihre krummen Stämme, auf der Suche nach Licht und Luft, beugten sich hinaus über die Tiefe. Denn unter dem Fels erstreckte sich eine kleine Wiese. Der Vizeförster rastete hier mit den Waldhütern; sowohl Wasser als auch gutes Gras fanden sich da, es würde guttun, wenn die Pferde etwas zu beißen bekämen, bevor sie den letzten bevorstehenden Aufstieg in Angriff nahmen, auf

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