Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
sich langsam auf, ebenso langsam wie der grässliche Sinn der Worte in ihre Seele drang.
Mit ihrer hochgewachsenen Gestalt und den breiten Schultern wurde nun sie zum fürchterlichen Wesen; ihre rußfarbenen Augen glühten hinter den dichten Wimpern, die schön gewölbten Lippen zuckten wie bei einer Furie. Regungslos stand sie da und streckte sich doch immer mehr, bis sie plötzlich den Arm hob. Sie zeigte auf die Tür: »So scher dich fort! … Fort, scher dich fort!«
László fiel zusammen, als wäre in ihm eine Feder gesprungen. Er wandte sich ab. Dass sie ihm das Geld nachwarf, bemerkte er gar nicht mehr. Hastig hängte er sich den Mantel um die Schultern und rannte hinaus in den Schneesturm. Nicht er, das Gewitter schlug hinter ihm die Tür zu.
Im Laufschritt hastete er den Hügel hinab. Scharfer Wind schlug ihm entgegen. Die unzähligen Eisnadeln, die er ihm ins Gesicht trieb, spürte er gar nicht. Er lief, lief hinunter ins Tal; wie die fliehenden Tiere, so rannte er: Unbewusst folgte er der gewohnten Fährte, solange er nicht außer Atem geriet. Er lief, denn er fühlte, dass die harte, böse Entschlossenheit, zu der er sich gezwungen, ihn bereits wieder verlassen hatte. Er lief, weil er fürchtete, weinend zusammenzubrechen. Er flüchtete, weil sein ganzes Auftreten anstelle der erwarteten moralischen Genugtuung in Schimpf und Schande geendet hatte, in Beschämung über die eigene Undankbarkeit und Rohheit.
Unten auf der Landstraße gelangte er zu einer gemeinen Schenke gegenüber der Eisenbahnstation. Er rannte die Tür ein. Die Luft im Ausschank war von dichtem Rauch erfüllt; einige Bahnarbeiter becherten in der Stube. Als er eintrat, drehten sie sich nicht einmal um, gleichgültig sprachen sie weiter dem Wein zu. Niemand verriet Überraschung, mochte László noch so durchnässt, schmutzig und kotbespritzt sein.
»Branntwein … Branntwein … eine halbe Flasche Branntwein!«
»Mit Anis oder Honig, welchen wollen Sie?«, fragte der Wirt kurz angebunden.
»Egal«, antwortete László, »er soll nur stark sein, sehr, sehr stark.«
Man setzte ihm ein Glas mit dem verlangten Getränk vor. Er trank es aus. »Noch eines!« Er leerte es ebenso.
Der Alkohol begann bereits, seine Sinne abzustumpfen. Er kam auf den Gedanken, dass Frau Lázár ihm jemanden nachschicken könnte, um ihn suchen zu lassen. Nein, man sollte ihn nicht hier vorfinden, nur das nicht! Bloß das nicht! Rasch warf er eine Zwei-Kronen-Münze auf die Theke und eilte hinaus in den Sturm.
Anfänglich lief er wieder wie ein Verfolgter. Große Schneeflächen bedeckten bereits die Landstraße, dazwischen breiteten sich schwarze Wasserlachen aus. László schritt unablässig fort, immer geradeaus, ohne darauf zu achten, wohin er trat, ob er den Fuß in Kot, Wasser oder Schnee setzte, er marschierte unentwegt. Beim Eingang des Dorfs stieß er auf ein weiteres Gasthaus. Er kehrte auch da ein und trank auch hier hastig viel Branntwein, und es litt ihn auch da nicht lange. Je mehr Schnaps er trank, desto mächtiger wurde seine Angst, dass man ihn einfangen und fortschleppen werde. Wohin? Zu wem? Warum? Das wusste er nicht mehr, klar war nur seine Furcht, dass man ihn holen wolle. Und wieder rannte er eine Weile, doch diesmal schon schwerfälliger. Die Füße trugen ihn kaum mehr.
Er ließ das Dorf hinter sich. In der dunklen Nacht war fast nichts mehr zu erkennen, obwohl der Schnee hier, vorab an der Böschung am Straßenrand, schon eine zusammenhängende Decke bildete. All dies ließ sich im dichten Schneefall eher nur ahnen. Torkelnd setzte er seinen Weg fort.
Die Straße beschrieb nun eine Kurve und führte zur Szamos-Brücke. László nahm das nicht wahr. Stolpernd, müde setzte er einen Fuß vor den anderen, sein Kopf schien unter einer zentnerschweren Last nach vorn zu kippen, und doch marschierte er geradeaus. Die Trunkenheit und die Erschöpfung hatten in ihm jeden Gedanken ausgelöscht. Er zog dahin wie ein gehetztes Tier. Dann schwand unter seinen Füßen der Boden. Er stürzte ins Nichts.
Schneematsch füllte unten den Graben. Bis zum Knie versank er im Wasser, während sein Oberkörper mit ausgebreiteten Armen auf den steilen Grabenrand fiel. Bewegungslos verblieb er so. Die Schneeflocken deckten seinen Rücken immer dichter zu.
V.
Miklós Absolon saß zwischen zwei Säulen auf der offenen Veranda. Auf dem kahlen Schädel trug er eine winzige, mit Glasperlen bestickte Mütze aus Buchara. Der Kragen seines weichen Hemds stand
Weitere Kostenlose Bücher