Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
manchmal selbst das Leben des Jägers hingen davon ab.
An der Hochzeit hatte natürlich auch Pál Uzdy teilgenommen. Seinem Onkel, der ihn schon seit langem nicht mehr gesehen hatte, fiel manches auf. Uzdy hatte eine merkwürdige Art, in gekünstelten Posen zu erstarren. Er sah ihn auch jetzt vor sich, wie er unbeweglich unter den Hochzeitsgästen stand und den Zeigefinger der rechten Hand gegen sich selbst richtete, als wolle er mit dem Blick unter den eigenen Nagel dringen. Seltsam, höchst seltsam. Sein Gang war gemessen und langsam, er schien ständig darauf zu achten, dass seine Füße unter ihm nicht zu raschem Lauf ausholten. Etwas Dünkelhaftes und Verächtliches lag in seinen Augen, sooft er mit jemandem ins Gespräch kam. All das hatte es an ihm wohl auch früher schon gegeben, doch nicht in dieser bestimmten Form. Absolon entsann sich seines Schwagers, der Zeit, da bei diesem der Wahnsinn ausgebrochen war. Er hatte an ihm damals Ähnliches festgestellt. Ihm war dies schon tags zuvor durch den Kopf gegangen, als er Adrienne sagte, ihre Absicht, sich scheiden zu lassen, sei sehr begründet.
Deshalb hatte er gleich nach Régen telefoniert und dort dem Oberarzt des Krankenhauses seine Absicht mitgeteilt, ihn am Vormittag zu besuchen. Nun überlegte er, in welcher Form seiner Begleiterin beizubringen sei, dass er vor allem einmal diesen Arzt konsultieren und sogar die junge Frau mit ihm zusammenbringen wolle. Wolf Hermann Kisch war ein hervorragender Mediziner. Er hatte sich, bevor er das städtische Krankenhaus übernahm, auf Nervenleiden spezialisiert. In Berlin hatte er beim berühmten Kraeplin gearbeitet und ein Jahr auch bei Charcot verbracht. Absolon sagte sich, dass Kisch eine Fachmeinung abgeben könnte. So ließe sich das eigene Vorgehen sicherer planen. Vielleicht wäre er sogar imstande, ihnen beizustehen …
Er zündete sich mit großer Umständlichkeit eine weitere Zigarre an, und dann schnitt er das Thema an.
»Ich dachte mir, liebe Nichte, dass ich in der Stadt manches zu erledigen habe, doch wenn ich schon da bin, möchte ich einen guten Freund, Doktor Kisch, aufsuchen. Es würde sich empfehlen, mit ihm zu besprechen, wie wir Ihre Sache in die Wege leiten sollen.«
»Wozu einen Arzt in Szászrégen einweihen?«, wunderte sich Adrienne.
»Oh, das ist nicht ein einfacher Provinzdoktor, wie Sie es sich vorstellen. Er ist ein ganz vorzüglicher Mann, solche gibt es nicht nur bei uns, sondern selbst in Europa nur ganz wenige.« Und rasch begann Absolon mit seinen Erklärungen, bestrebt, alle Argumente aufzuzählen, bevor Adrienne seinen Plan zurückwies. Er erzählte Dr. Kischs ganze Geschichte.
Kisch war hier, in Dedrád, dem benachbarten großen Sachsendorf, geboren. Er stammte aus einer Bauernfamilie. In der Schule fiel er auf. Nach der Maturität bot ihm die sächsische Universitas 77 an, ihn unter Deckung aller Kosten ins Ausland zu schicken und zum Arzt ausbilden zu lassen, sofern er sich dazu verpflichte, jederzeit, wenn er benötigt würde, nach Hause zurückzukehren und jede ihm angebotene Stelle anzunehmen. Kisch akzeptierte. Aufsehen im Ausland erregte er später als Arzt mit mehreren wichtigen psychiatrischen Publikationen. Diese fanden so ernsthafte Beachtung, dass die Universität Jena ihm eine Stelle als Hochschullehrer anbot. Er aber konnte der Einladung nicht folgen, denn er wurde – fünf Jahre war es her – nach Hause zurückgerufen. Man hatte in Régen ein überaus perfektes, aber mit dreißig Betten sehr kleines städtisches Krankenhaus fertiggestellt. Dessen Leitung musste er übernehmen, auf den internationalen Ruf, die wissenschaftliche Forschung, auf alles verzichten. Doch er hielt Wort und kehrte zurück.
»Diesem Doktor würden wir also vom Zustand meines Neffen berichten. Pali Uzdy ist zwar gewiss nicht wahnsinnig, aber auch nicht ganz normal. Es wäre folglich von Vorteil, wenn ein Nervenarzt – natürlich ohne jedes Aufsehen – ihn anschauen würde. Er könnte Ratschläge geben, vielleicht auch eine Kur zur Linderung verordnen. Das trüge auch dazu bei, die Sache glatt voranzubringen … in jede Richtung, ja … und in jeder Hinsicht.«
Absolon betonte die letzten Worte mit besonderem Nachdruck, auf gleiche Art wie tags zuvor, als er gesagt hatte: »… ich übernehme auch, Sie oder sonst jemand anders zu beschützen.«
»Aber ausgezeichnete Spezialisten gibt es doch auch in Klausenburg …«
»Die kennt mein Vetter gewiss alle, zumindest vom Sehen. Von
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