Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Titel: Verschwundene Schätze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
Vom Netzwerk:
Nebengleis.
    Der Bahnhofsvorstand – in Paradeuniform, mit weißen Handschuhen – hatte vor dem Gebäude Stellung bezogen. Sein Stellvertreter ebenso. Beide waren überaus nervös. Die Weichenwärter liefen auf und ab. Zwei Patrouillen von Gendarmen, je zwei Mann, den mit Hahnenfedern geschmückten Hut auf dem Kopf, das Gewehr mit aufgepflanztem Bajonett geschultert, schritten die Gleise entlang und befahlen jedermann, sich vom Perron zu entfernen.
    »Was geht hier vor?«, fragte Bálint, während er dem alten Stationsvorstand die Hand schüttelte. Einer der Gendarmen war unterdessen schon dabei, seinen Gepäckträger wegzuweisen. »Wozu diese große Bereitschaft?«
    »Der Sonderzug des Thronfolgers fährt durch. Er ist schon gemeldet. Wir haben die strengste Anordnung bekommen, es dürfe sich einzig das Dienstpersonal vor dem Bahnhofsgebäude aufhalten. Eine sehr strenge Anordnung. Sie sehen es mir nach, nicht wahr …«
    Der Vorstand sagte dies recht beschämt und linkisch; er kannte die Abádys seit langem, das war ja bei Reisen immer ihre Station. Und doch holte er mit dem Arm schwungvoll aus und zeigte in Richtung des Ausgangs; er hielt sich, wie ihm von oben befohlen, sehr gewissenhaft daran, das Geheimnis abzuschirmen.
    Bálints Einspänner-Wagen hatte bereits die letzten Häuser des Dorfes erreicht, als von der Aranyos-Brücke her ein gewaltiges Dröhnen das Herannahen des Sonderzugs ankündete. Dann ein kurzer Pfeifton. Die Räder verlangsamten sich, die Bremsen quietschten schmerzhaft. Der Zug kam zum Stillstand. Doch dies dauerte kaum eine Minute. Die Lokomotive begann gleich wieder zu schnauben, und der Zug ratterte weiter in die Richtung der Berge. Abády hatte nicht bemerkt, warum der Extrazug des Erzherzogs für einen Augenblick stehen geblieben war. Auch die paar Leute, die im Wartesaal herumsaßen, hatten wohl nichts gesehen und sich nicht darum gekümmert. Dabei wäre die chauvinistische Presse, hätte jemand die Szene beobachtet und weitererzählt, in die Lage gekommen, ganz hübsch Krach zu schlagen. Denn bei dem Mann, dessentwillen der Zug gehalten hatte, der aus dem Dienstraum des Bahnhofsvorstands rasch herausgeschlüpft war und vor dem sich die Tür des Salonwagens geöffnet hatte, handelte es sich um Aurel Timişan, den alten Volkstribun.
    Das Büro des Erzherzogs, die »Werkstatt«, wie es die engsten Mitarbeiter schon seit geraumer Zeit nannten, stand mit ihm – und mit manchem anderen Anführer von Nationalitäten – in vertraulichem Kontakt. Die Werkstatt des Thronfolgers hatte ihn herbeordert, ihn mit einem Bestätigungsbrief ausgestattet und jedermann aus der Nähe des Sonderzugs entfernen lassen, damit er imstande war, unbeachtet zuzusteigen. Nach einigen Stationen verließ er ebenso heimlich wieder den Salonwagen des Hofs. So viel Zeit hatte ausgereicht zur Übergabe der Namensliste, die bei ihm vom Sekretär des Thronfolgers bestellt worden war.
    Tags darauf empfing Franz Ferdinand in Sinai jene Emigranten, die vor drohenden politischen Prozessen über die Grenze seines künftigen Reichs geflüchtet waren. Während er sie ihres Wohlwollens versicherte, rissen draußen auf der beflaggten Hauptstraße des Kurorts Gruppen von Studenten eine der Landesfahnen der Doppelmonarchie, die ungarische Fahne, herunter und traten sie in den Dreck.

II.

    Bálint erfuhr dies in Dénestornya während der Jause aus der Lektüre eines Budapester Morgenblattes. Zur gleichen Zeit allerdings traf das Klausenburger Mittagblatt Ellenzék ein, das auf der ersten Seite ein offizielles Dementi brachte. Nichts war geschehen, der Erzherzog hatte niemanden empfangen, nichts Böses war der ungarischen Fahne widerfahren. Die Mitteilung vom Vortag beruhe auf einem bedauerlichen Irrtum, meldete der Botschafter der Monarchie. Ob das jemand auch glaubte? Das stand schon auf einem anderen Blatt. Bálint Abády gehörte gewiss nicht zu den Leichtgläubigen.
    Alles, was er von der Person des Thronfolgers wusste, was ihm Slawata anvertraut hatte, bestärkte ihn in der Annahme, dass es sich sehr wohl um die Wahrheit handelte. Und doch suchte er die Tatsache von sich fernzuhalten und sich mit der amtlichen Gegendarstellung zu begnügen, da andere Sorgen und Bürden auf ihm lasteten. Hätte er durchdacht, was der Vorfall für die Zukunft bedeutete, so wäre er von dem Gegenstand abgelenkt worden, dem er nun seine ganze Aufmerksamkeit zu widmen hatte.
    Er musste einen Plan schmieden, wie und wann der Mutter mitzuteilen

Weitere Kostenlose Bücher