Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
sei, dass seine Verheiratung unmittelbar bevorstehe. Gewiss, dies würde für sie beide sehr schmerzhaft sein. Noch ließ sich die Entscheidung für eine Weile hinausschieben, da von Almáskő vorerst keine Nachricht eingetroffen war. Doch sobald sie kommt, wird er handeln müssen. Hernach aber, das unterlag keinem Zweifel, würde er keine Stunde länger zu Hause bleiben dürfen. Er kannte die Mutter wohl. Was sie einmal bestimmt und ausgesprochen hatte, galt für sie als unumstößlich. Sie würde sich, dies stand fest, sehr lange so verhalten, als sei der Sohn für sie gestorben, und erst wenn sein – vorerst noch erträumter – Sohn auf die Welt käme, ihr Enkel, der Träger seines Namens, erst und nur dann würde sie mehr oder minder verzeihen. Er musste sich folglich jetzt, in diesen wenigen Tagen, auf alles vorbereiten.
Adrienne und er würden weder hier noch in Klausenburg wohnen können. Unvorstellbar, dass er und seine Frau in der gleichen Stadt leben sollten wie die Mutter. Budapest allein bot sich als Wohnort an, dort würde ihre Lage nicht so allgemein bekannt und für alle Seiten so schmerzhaft werden. Ja, dies war die einzige Lösung: in Budapest eine Wohnung zu mieten.
Fest stand auch, dass er die ihm monatlich zustehende Summe, welche die Kasse der Gutsverwaltung ihm seit seinem Ausscheiden aus dem diplomatischen Dienst unverändert ausbezahlt hatte, fortan nicht mehr beanspruchen konnte. Nicht auszuschließen, dass die Mutter die Auszahlung gleich einstellen ließe. Und über sein Gehalt, das er als Abgeordneter bezog, brauchte man kein Wort zu verlieren. Doch er sagte sich, dass er auf diese Einkünfte nicht angewiesen war.
Das Erbe seines Großvaters väterlicherseits gehörte ihm. Eine Gütertrennung hatte man bisher nicht vorgenommen. Frau Abády verfügte über alle Einkünfte, und Bálint hatte nie daran gedacht, sein Eigentum abzusondern. Bei der Zusammenlegung der beiden Güter von Dénestornya hatten sie die Arrondierung gemeinsam vorgenommen und auch das Familiengut im Hochgebirge niemals geteilt, obwohl ein Viertel davon auch zu seinem väterlichen Erbe gehörte. Auf dieser Grundlage würde er sein Auskommen finden. Die Einkünfte aus dem Forstbesitz allein reichten aus. Da er das Gebirgsgut schon seit Jahren verwaltet und auch selber den Vertrag mit dem Wiener holzwirtschaftlichen Unternehmen geschlossen hatte, wusste er, dass ein Viertel ungefähr zwanzigtausend Kronen entsprach.
Auch anderes fand sich, mochte es auch nicht allzu viel sein. Nach seiner Erinnerung hatte ein kleines, abgesondertes Gut im Tal des Bachs Jára seinem Großvater gehört. Es war jetzt verpachtet und von Rechts wegen sein Eigentum. Er konnte es mitsamt der Pachtsumme zurückverlangen. Dann gab es die Frage, wie es mit den Möbeln stand. Die einstige Einrichtung des Großvaters befand sich im Schloss. Man hatte die Möbel im Lagerraum gestapelt – zusammen mit vielen Stücken, die von anderswo stammten. Den Schreibtisch des alten Herrn kannte er wohl, ebenso die große, gemaserte Anrichte aus dem Tagesraum, doch der Rest war ungewisser Herkunft. Die Liste musste noch vorhanden sein, man hatte sie vor der Leerung von Großvaters Herrenhaus erstellt, bevor Ázbej in das Gebäude unten neben der Kirche einzog. Die Mutter sagte oft, man habe ein Inventar aufgenommen. Wo aber war die Liste? Ohne Erfolg suchte er sie im Archiv. Sie musste im Büro bei Ázbej sein. Dort müsste man sie von ihm verlangen. Bálint wälzte solche Gedanken, tat aber so, als vertiefe er sich in die Zeitungen. Die eine oder andere Meldung las er auch vor, obwohl die eigenen Sorgen seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen, während er mit der alten Frau Abády auf der Veranda Tee trank.
Róza Abády nickte, wenn sie die Zeitungsnachrichten vernahm. Manchmal sagte sie gar: »Wie interessant!« oder »Wirklich überraschend!« Aber in ihren Gedanken war auch sie anderswo. Sie hatte wahrgenommen, mit welch verschlossener und kummervoller Miene ihr Sohn bei ihr saß, und mit Bestimmtheit sah sie voraus, dass die verwünschte Eheschließung nahte, auf sie zukam, dass es schon am nächsten Tag zum Eklat kommen könnte und sie dann den einzigen und letzten Menschen verlieren würde, den sie liebte.
Im Treppenhaus nahm Bálint den Kirchhofschlüssel zu sich – er hing immer dort an einem Nagel – und eilte den Westhang des Schlosshügels hinunter. Auf den ausgetretenen Stufen des kurvenreichen Pfads, der zwischen den hochgeschossenen
Weitere Kostenlose Bücher