Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
parlamentarischen Gruppe andere Nationalitäten nur mit drei Abgeordneten vertreten waren.
Am 4. April legte Polit als Präsident der Gruppe einen Entschließungsantrag vor, nach ihm folgten jedoch nur noch rumänische Abgeordnete mit überlangen Ansprachen. Sie hatten diese Methode gewählt, denn zu einem anderen vorzüglichen Verhinderungsmittel der technischen Obstruktion, den ständigen Namensabstimmungen, die es ermöglichten, die parlamentarische Arbeit lahmzulegen, reichte ihre Zahl doch nicht aus. Sie hielten also endlose, drei bis vier Stunden dauernde Reden, indem sie vielerlei Artikel und alte Wortmeldungen vorlasen, die sich die Abgeordneten der Mehrheit ziemlich gleichgültig und gelangweilt anhörten. Nur ab und zu meldete sich einer mit einem saftigen Zwischenruf nach der Gewohnheit aus alten Zeiten, als sich dergleichen noch an das »verwünschte Wien« gerichtet hatte. Etwas Belebung kam in die Reihen, als sie eines Tages im Mitteilungsblatt entdeckten, dass Vaida-Voevod 14 am vorigen Vormittag ein Schmähgedicht gegen die Ungarn vorgelesen hatte, was in der Interesselosigkeit von niemandem, nicht einmal von den Stenografen bemerkt worden war.
Eine ernsthaftere Wendung verlieh der Debatte aber nicht dies, sondern eine Interpellation István Bethlens 15 , die er mit einer gewaltigen Rede begründete. Dies war seine erste große Wortmeldung, denn bisher hatte er eher nur in den Ausschüssen mitgearbeitet, doch jedermann wusste, dass er als eine Hauptgestalt in jenem Flügel der Unabhängigkeitspartei galt, der hinter Apponyi stand.
Alle strömten also in den Saal, um ihm zuzuhören, alle Abgeordnetenbänke waren besetzt. Die Rede war hart und angriffig. Sie erstreckte sich auf die ganze Materie der rumänischen Nationalitätenfrage. Sie machte gewaltigen Eindruck, und infolgedessen nahm nun die Debatte eine eher allgemeine politische Färbung an. Anklagen wegen irredentistischer Bestrebungen und Beziehungen zu Bukarest sowie wegen des zunehmenden Terraingewinns der nationalen Minderheiten wurden laut, und statt anzugreifen, verlegten sich die rumänischen Abgeordneten von da an eher darauf, sich zu verteidigen. Abády fühlte sich verpflichtet, das Wort zu ergreifen. Er wusste, dass er Neues, Interessantes, Unbekanntes mitzuteilen imstande war. Während einiger Tage widmete er sich der Vorbereitung, er ordnete seine Unterlagen, dann trug er sich in die Rednerliste ein.
Er sprach vor einem ziemlich leeren Saal. Vielleicht lag dies auch daran, dass er ein unbekannter, parteiloser Mann war. Die Parteiapparate pflegten nämlich immer dafür zu sorgen, dass die eigene Garde zur Stelle war und ihren Redner mit Zustimmung und Applaus ermunterte. Einen Abgeordneten aber, der nirgends hingehörte, beachteten nur die wenigen beflissenen Leute, die grundsätzlich jedem bis zur letzten Silbe Gehör schenkten, sowie natürlich die Fachminister, über deren Gesetzesvorschlag die Kammer beriet. Während Abádys Rede saßen darum kaum zehn bis fünfzehn Abgeordnete der Regierungsmehrheit in den Bänken; und aufmerksam folgten seinen Worten in Wirklichkeit nur die Vertreter der Nationalitäten.
Am äußersten Rand ihrer Reihen saß der alte Aurel Timişan, einst im Memorandum-Prozess Anwalt der Verteidigung.
Bálint sprach über die zielbewusste Agrarpolitik, welche die rumänischen Banken, geführt von ihrem Hauptinstitut, der »Unita«, unter ihrem eigenen Volk verfolgten, so insbesondere unter den Bewohnern des Hochgebirges und der Heide: Dieser oder jener ihrer Vertrauensleute bekommt von der Bank einen billigen Kredit; dieses Geld legt er mithilfe von Vermittlern bei rumänischen Bauern an. Das Geld verteuert sich auf diese Weise schrecklich, bis es zum Kreditnehmer gelangt. Der Landwirt, der ihn in Anspruch nimmt, zahlt wahre Wucherzinsen.
»Ich kenne Fälle«, sagte er, »wo sich die Zinsen auf zwei- bis dreihundert Prozent erhöhen, auch im Normalfall betragen sie aber fünfundzwanzig bis dreißig Prozent. Es liegt auf der Hand, dass der Schuldner dem nicht nachzukommen vermag. Wenn aber seine Schuld mitsamt den Zinseszinsen so anwächst, dass er ganz zahlungsunfähig wird, folgt die Zwangsvollstreckung. Auf diese Weise gelangt sein Land in den Besitz der erwähnten Beauftragten, und der Bauer kann auf seiner Parzelle bestenfalls als Häusler verbleiben. Dies aber erzeugt neben der Verletzung allgemeiner menschlicher Rücksichten auch politische Schäden und Gefahren. Die Behördenvertreter, die in
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