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Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Titel: Verschwundene Schätze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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Zeit, sich auch mit anderen Dingen zu beschäftigen, nicht bloß mit den Tagesfragen der Kammer, die wegen der Fehden der drei Parteien immer wieder zu Verwicklungen führten. Der Auftrag zur Förderung des Genossenschaftswesens sollte ihm demnächst erteilt werden, und heute wartete er im Parlament auf den Finanzminister, damit die letzten Einzelheiten festgelegt würden. Er kam gerade hinzu, als jemand unter den Zuhörern Ferenc Kossuth mit einigen rühmenden Adjektiven bedachte: wie weise und staatsmännisch er sei … Dem großen Barra gefiel das nicht. Er hatte sich seinerzeit in den parlamentarischen Kämpfen gegen Kossuth gewandt und stand mit ihm seither nicht auf gutem Fuß.
    »Dass er ein Staatsmann sei, was? … Freilich! … Wer Minister ist, gilt immer als ein Staatsmann!«, versetzte er, den großen Mund zum Lachen verzogen. »Wenn wir aber danach fragen, ob es klug war, die Sprachverordnung jetzt vorzulegen, nachdem sich die serbische Koalition in der Frage der Personalunion zu uns geschlagen hatte, dann lässt sich das eine oder andere schon bemerken. Unsere einsame Nation zählt so wenige Freunde, dass es wohl ein Fehler war, unseren einzigen Verbündeten vor den Kopf zu stoßen.«
    Da meldete sich Bálint mit einer Zwischenbemerkung: »Das hängt vom Wert und vor allem von der Aufrichtigkeit des Bündnisses ab. Ich bin überzeugt, dass die serbische Koalition den Beschluss von Fiume nicht aus Sympathie uns gegenüber, sondern auf Anweisung von Belgrad gefasst hat. Dort unterstützt man überaus klug alles, was der Zergliederung der Monarchie dienen könnte. Und Kossuth hat die Sprachklausel vielleicht absichtlich eingefügt, um mit seinen serbischen Freunden zu brechen.«
    Der große Barra blickte einen Augenblick erstaunt auf Abády, den er kaum kannte und der sich gewöhnlich schweigsam benahm. Schon wollte er antworten, um den Urheber der unwillkommenen Äußerung niederzuschlagen, als Zsigmond Boros, der bereits seit einigen Minuten auf der anderen Seite des Kreises gestanden war, ihm zuvorkam. »Das wäre ein kluger politischer Gesichtspunkt«, hob er mit seinem wohlklingenden Bariton an, »aber ich darf sagen: Kossuth hat an derartiges niemals auch nur gedacht. Er ahnte nicht einmal, dass dies schlimme Folgen haben könnte. Die Erklärung liefert einzig seine Unbewandertheit in der Frage.« Um die Legende über sich selbst zu pflegen, fügte er an: »Damals, als ich noch im Amt stand, kam die Sache bereits aufs Tapet, und ich habe ihm gegenüber ernsthafte Einwände erhoben, aber er hörte nicht auf mich. Deshalb habe ich als Staatssekretär abgedankt. Seinerzeit stand es mir nicht frei, dies zu sagen, aber jetzt könnt ihr’s alle sehen, denn etwas anderem als dem eigensten Interesse des Vaterlands kann ich nicht dienen, etwas anderes gibt es für mich nicht und kann es auch nicht geben.«
    Der große Barra befand sich in einem Dilemma. Er verabscheute Kossuth, aber er mochte es auch nicht, wenn ein anderer die Aufmerksamkeit der Zuhörer auf sich zog. Darum rief er zornig dazwischen: »Es ist nicht meine Sache, den Handelsminister zu verteidigen. Doch selbst wenn er unbewandert ist und manchmal, ja sogar oft auch schwach! … so errät das patriotische Gefühl doch stets die unverstellbaren, durch alle Höllen hindurchführenden Wege der Nation! Denn die Flamme, die in unserem Busen lodert, beleuchtet jede Notwendigkeit der Zukunft! Eine unbeirrbare Glut ist es, die mich ewig führt, und so lernt von mir ein für alle Mal, dass das Vaterland, die Nation und die Verfassung, alles und jedes sein Heil in einem einzigen Wort findet, das ich …«
    So weit war Barra in seiner Ansprache gekommen, als ein Saaldiener zu Abády trat, ihn an der Schulter berührte und ihm bedeutete, dass er gerufen werde. Bálint wandte sich um und eilte in die Richtung der Ministerialbüros davon. Die dröhnenden Sätze begleiteten ihn bis ans Ende des langen Korridors: »… denn ich verkünde unverrückbar und unentwegt das, was das Heil des Vaterlands fordert …«

    Bálint, im Besitz der Ermächtigung durch den Ministerpräsidenten, verließ das Parlament eine halbe Stunde später. Noch am gleichen Abend trat er die Heimreise an. Er tat dies – zum ersten Mal, seit er sich der Politik verschrieben hatte – mit einem Glücksgefühl. Endlich durfte er arbeiten, endlich etwas von seinen selbstlosen Plänen verwirklichen. Bevor er einschlummerte, dachte er darüber nach, in welcher Region er die Organisation der

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