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Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Titel: Verschwundene Schätze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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welche in der Vergangenheit ungarische Obstruktionen so genau erarbeitet hatten.
    Gewaltige Empörung, vor allem innerhalb der Unabhängigkeitspartei, richtete sich gegen die serbische Koalition, die zwei Jahre zuvor, zur Zeit der staatsrechtlichen Kämpfe, in ihrer »Resolution von Fiume« die Personalunion in ihr Programm aufgenommen hatte und deshalb bisher wiederholt als eine verbündete Kraft belobigt worden war. »Verräter solchen Schlags sind sie also?! … Jetzt wenden sie sich gegen uns?!«
    Von den ungarischen Abgeordneten hörte den Ansprachen der Kroaten natürlich niemand zu, denn in der ganzen Kammer fanden sich kaum zwei bis drei Leute, welche die Sprache verstanden. Stattdessen bildeten sie Gruppen in den Korridoren. Jene, die wegen der Beschlussfähigkeit gezwungen waren, den ganzen Tag in Bereitschaft zu stehen, verbrachten auf diese Weise die Zeit, verärgert und miteinander in Diskussionen verstrickt. So ging es Tag für Tag und sogar über Wochen. Gesellte sich ein honoriger, führender Mann zu ihnen, dann war ihnen dies eine große Freude. Ihm zu Ehren organisierten sie gleich ein Parlament im Kleinen. Heute umringten sie gerade Sámuel Barra, der sich zufällig dorthin verirrt hatte. Béla Varju setzte das Wortgefecht gleich in Gang, um dem großen Barra Gelegenheit zu bieten, alle zu übertrumpfen.
    Das versprach, interessant und ein guter Zeitvertreib zu werden. »Ich bin nun einmal der Meinung«, begann Varju, »dass wir verrückt sind, so etwas zu dulden. Seit zwei Wochen sitzen wir da, und die quaken noch immer. Wäre ich die Regierung, ich würde ihnen allerdings auf echt ungarische Art eins austeilen!«
    Der große Barra öffnete seinen riesigen Mund. Nirgends war sein Gesicht breiter als beim Mund, was vielleicht die vielen in seinem Leben ausgesprochenen Worte bewirkt hatten. Als hätte dieser Mund zwischen dem Schnurrbart und seinem dicken Kinn sein eigenes Dasein.
    »Was heißt da ›eins austeilen‹? Wenn du meinst, die Regierung sollte unter Missachtung der Hausordnung gegen sie auftreten, dann kann ich das nicht unterstützen. Ich habe die Hausordnung gegen die Henkersknechte der Kamarilla jahrelang im Kampf verteidigt, jawohl! Ich vor allen, wie ihr wisst! Und es könnten wieder Zeiten kommen, in denen wir die Freiheit der Nation aus der Zitadelle der Hausordnung heraus retten! … Die Hausordnung ist heilig!«
    Der alte Bartókfáy hob den Finger. »Das können wir nicht zulassen«, pflichtete er bei, in seinem Tonfall aus dem Maros-Tal, »das hätten wir nicht bloß Ferenc Kossuth, sondern selbst Lajos Kossuth niemals erlaubt! Nein, niemals, das sage ich!« Und würdevoll ließ er seine Hand in der Latzhose versinken, denn er ging wie in den sechziger Jahren immer noch in ungarischer Tracht herum. Mochten doch die Leute auch daran erkennen, dass er schon damals zu den Männern gehört hatte, die eine Rolle spielten.
    »In der Tat, an die Hausordnung darf man unter keinen Umständen rühren«, schmeichelte ein jüngerer Abgeordneter dem großen Barra, »selbst wenn sie gegen uns gekehrt wird …«
    »Auch diese Meinung hält nicht stand«, unterbrach ihn der Wortführer, der den Widerspruch liebte, »denn merkt euch, wir vertreten den Willen des Landes, seinen Glauben und seine Freiheit. Das ist es, wofür wir mit allen Mitteln kämpfen, aber wo kämen wir hin, wenn es erlaubt sein sollte, dasselbe für partikuläre Ziele zu tun? … Aus wäre es mit dem Parlamentarismus und mit der altehrwürdigen Verfassung, wenn wir derartiges dulden sollten! … Darum muss man einen Weg finden, jawohl, einen beliebigen Weg, damit nur jene Parteien obstruieren dürfen, die für das nationale Ideal eintreten, und keine anderen!«
    »Soeben aber hast du geruht zu sagen …«, stammelte der junge Volksvertreter, »so wie ich’s verstanden habe …«
    »Du hast mich falsch verstanden, aber ich habe es richtig gesagt: Die Hausordnung ist heilig! Sie anzuwenden jedoch, dazu kann nur das moralische und nationale Ziel ermächtigen, sonst nichts …« Und mit langen Quersätzen umschrieb er den Gegenstand, wodurch sein Gedankengang zwar nicht klarer wurde, das Gesagte aber einen großartigen Klang bekam. Angelockt durch Barras dröhnende Stimme, stießen immer mehr Leute zu der Gruppe. Auch Bálint Abády kam dazu.
    Er war guter Laune. Sein Anliegen machte gute Fortschritte. Da die kroatische Redeflut jede parlamentarische Arbeit zum Erliegen gebracht hatte, fanden nun die Regierungsmitglieder

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