Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
nicht verlassen. Ich gehöre schon zu ihnen.« Er grüßte und entfernte sich mit seinen Begleitern, die einige Schritte weiter weg gewartet hatten.
Abády brach auf, um zur Gaststätte zu gehen. Es war ein beträchtliches Stück Weg. Unterwegs machte er sich Gedanken über Jópáls Schicksal. Es war kein individuelles, vielmehr ein ungarisches Schicksal. Eine ungarische Sünde. Wie viele glichen ihm! Unzählige Talente, die sich im ersten Anlauf unter die Größten der Welt einreihen, dann aber aufgeben, allem entsagen, und dies mit der gleichen Leichtigkeit, mit der sie den Aufstieg geschafft hatten. Den Kampf, sich durchzusetzen, bestehen sie nicht mehr, er interessiert sie nicht oder allenfalls nur für kurze Zeit. Bei der ersten Schwierigkeit weichen sie zurück, als ob sie gar nicht den äußeren Erfolg gesucht, eher nur sich selber hätten beweisen wollen, dass zu dergleichen auch sie fähig wären, wenn sie sich einmal ins Zeug legen würden. Unter vielen Namen kamen Bálint aufs Geratewohl die folgenden in den Sinn: János Bolyai 28 , in der Art der Vorzüglichste. Im Alter von 21 Jahren legte er Größtes vor, und hernach versuchte er gar nichts mehr; Samu Teleki 29 , der Afrikareisende, der letzte bedeutende Entdecker der noch unergründeten Gebiete dieses Kontinents, veröffentlichte nicht einmal eine Schrift mit der Schilderung seiner Reisen; Miklós Absolon hatte Lhasa besucht, wusste aber darüber nur humoristische Anekdoten zu erzählen; Pál Szinyei-Merse 30 war der erste Pleinairmaler der Welt, zog sich aber von der Malerei zurück und nahm 15 Jahre lang keinen Pinsel mehr zur Hand. Tamás Laczók bot sich in Algerien die Möglichkeit, ein weltbekanntes Werk zu schaffen, doch er ließ alles stehen, kehrte heim und ist jetzt dabei, für lumpige Bummelzüge die Trassen zu bauen …
In einem jeden wohnt irgendeine dem Nirwana entlehnte Neigung zum Verzicht, irgendein orientalischer Fatalismus, wenn es um den Ruf und den Erfolg geht. Jeder wirft fort, wofür er jahrelang gekämpft hat, und unter dem Vorwand einer kleinen Beleidigung oder Enttäuschung steigt er selber vom Parnass herab, manchmal auch ohne nach einem Grund zu suchen oder einen zu nennen. Vielleicht ist dies die Kehrseite des ungarischen Schneids. Für den Stolz auf das Geleistete genügt der Beweis: Auch ich brächte dies fertig! Und das reicht denn auch, mehr braucht es nicht, und es gilt beinahe schon als schneidig, alles hinzuschmeißen, was man zuvor stolz zu vollbringen suchte. Miklós Toldi 31 verkörpert in der Tat den nationalen Urcharakter: In einigen wenigen Monaten und unter unendlichen Schwierigkeiten besiegt er jeden, um dann rasch entschlossen in sein Herrenhaus zurückzukehren und daraus bis zum Greisenalter nie mehr herauszukriechen.
In der Nachmittagssitzung kam die Angelegenheit der Ansiedlung zur Sprache. Man verkündete die entsprechende Absicht der Regierung, allerdings nur in allgemeiner Form, denn die Frage hatte zahlreiche finanzielle, privatrechtliche und andere Seiten, die sich in einer Versammlung tatsächlich nicht behandeln ließen. Diese Erklärung gab Abády Gelegenheit, seinen Vorschlag für das »Homestead«-Wesen einzureichen.
Er begann mit der Feststellung, dass die Ansiedlung, sofern man von ihr namhafte Ergebnisse erwarte, großangelegt sein müsse. Die Székler, so erläuterte er, finden auf dem eigenen Territorium keinen Platz mehr, und zur Beleuchtung der Zerstückelung der kleinen Landgüter führte er die Statistik der Geburten und der Auswanderung vor. Es sei bereits so weit, dass die winzig kleinen Landbesitztümer den Familien kaum mehr ein Auskommen sicherten. Gegen die weitere Aufsplitterung gebe es einen einzigen Schutz: das Fideikommiss für Kleinlandwirte. Hier wies er auf ausländische Beispiele hin: auf die zur Bewahrung des Familienbesitzes dienenden Homestead-Gesetze der Vereinigten Staaten von Amerika und Kanadas; das eingetragene Gut werde dort von einem einzigen Anwärter geerbt. Er ließ auch an dieser Stelle statistische Zahlen folgen und erläuterte die dortigen Rechtsverhältnisse sowie die Fachliteratur, die sich um die Frage überall in Europa, so insbesondere aus Lorenz von Steins Feder, entwickelt hatte. Diese Einrichtung, so führte er aus, ist in der ungarischen Rechtsgeschichte nicht unbekannt, denn nach dem alten Gesetz war das Minimum an Landbesitz, das Leibeigenen zustand, die Viertelparzelle, für alle Komitate festgelegt worden, und jede weitere Teilung fiel
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