Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
…«
In Udvarhely kehrte er früh zum Abendessen ein, denn es war noch ein weiter Weg nach Schäßburg. Züge fuhren nicht mehr, er musste also einen Fiaker finden. Dies fiel so in der Eile nicht leicht, die besseren befanden sich noch immer in Homoród. Der Wirt jedoch ließ in Bälde einen Wagen vorfahren. Die beiden Pferde vor der wackeligen Halbdachkutsche wirkten allerdings recht abgezehrt, aber der Kutscher schwor Stein und Bein, er werde »den jungen Herrn in einem Anlauf hinbringen«.
Nun fuhren sie durch vereinzelte, voneinander ziemlich weit entfernte und Bálint unbekannte Dörfer; bis Udvarhely war er ja mit der Bahn gereist, und obwohl er die Gegend betrachtet und die Einheimischen auch Erläuterungen geliefert hatten, so ist es doch ein anderes, die Außenwelt aus dem Eisenbahnfenster wahrzunehmen oder durch die Ortschaften hindurch zu fahren. Sie waren schon etwa anderthalb Stunden unterwegs, als eines der Pferde, das schon seit geraumer Zeit hinkte, nun völlig lahmte. Sie blieben stehen. Zum Glück ereignete sich der Vorfall in der Nähe eines Dorfes. Bálint ging zum Pflock, an den man die Ortstafel angenagelt hatte. Nach einigen Versuchen, ein Streichholz anzuzünden, stellte er fest, dass sie sich vor Kiskeresztúr befanden.
Kiskeresztúr? Da wohnte doch der alte Sándor Kendy, der greise Woiwode oder anders »Kajsza« – das schiefe Maul – genannt. Die Leute im Zug hatten ihm sein Haus auch gezeigt, die säulengestützte Fassade hatte sich durch die entlaubten Lindenbäume im Garten weiß abgezeichnet. Drüben, am anderen Ende des Dorfs, musste es sein. Er begab sich also zurück zum Kutscher, der unter heftigem Kopfschütteln und mit sichtlich wenig Hoffnung am Hufeisen des Kleppers herumfingerte.
»Wo fehlt es denn?«, fragte Bálint.
»Der Teufel mag’s wissen«, sagte der Székler.
Auch Abády betastete den Huf des armen Pferds. Es war plattfüßig. Die Fläche innerhalb des Eisens wirkte zugewachsen, die Entzündung hatte die ganze Sohle erreicht.
»Nun, mit dem da kommen wir nirgends mehr hin«, sprach er zum Fuhrmann.
»Ja, kaum«, sagte der andere.
»Man muss beim allernächsten Schmied das Hufeisen herunternehmen lassen und die Sohle in nasse Lumpen wickeln«, riet Bálint fachmännisch, hatte er doch seit der Kindheit von der Mutter und vom Gestütsmeister manchen Kniff der Pferdepflege erlernt.
»Bitte sehr, es gibt da keinen Stall, wo ich es unterbringen könnte«, erwiderte der junge Mann.
Eine Entscheidung wurde fällig. Eine andere Lösung, als es irgendwie bis zum Sitz der Kendys zu schaffen, bot sich nicht an. Große Lust dazu empfand er nicht. Der mürrische alte Kendy stand nicht im Ruf eines gastfreundlichen Mannes. In sein Haus in der Provinz lud er nie jemanden ein. Und sich so spät am Abend bei ihm einzustellen! Unangenehm sodann, dass er Kendys Frau nur vom Hörensagen kannte, sie aber niemals getroffen hatte.
Es war mehr als zehn Jahre her, dass sich Sándor Kendy in bereits ziemlich vorgerücktem Alter verheiratet hatte. Dies geschah ganz unerwartet in Sepsiszentgyörgy. Er heiratete irgendein Tippfräulein, die Waise eines kleinen Steuerbeamten, eine gewisse Alice Folbert. Er führte sie niemals aus, stellte sie niemandem vor, nicht einmal seinen nächsten Verwandten. Er brachte sie hierher, nach Keresztúr, und es hieß, er halte sie seither hier verborgen. Eine höchst seltsame Geschichte, umso mehr, als man sich erzählte, Alice Folbert sei schon bei ihrer Heirat stocktaub gewesen. All dies hätte für die Klatschmäuler ein gefundenes Fressen bedeutet, bloß ergab sich für sie die Schwierigkeit, dass es ihnen nicht gelang, über die junge Frau etwas Nachteiliges zutage zu fördern. Und da sie niemand zu sehen bekam, kein Besucher das Haus betrat, die Frau nirgends erschien, Kajsza aber, wenn er sich in der Stadt aufhielt, das Leben eines Junggesellen führte, geriet sie bald dermaßen in Vergessenheit, als wäre sie gar nicht auf der Welt.
Dies ging Bálint durch den Sinn, während sie langsam, im Schritttempo, das Dorf durchquerten und endlich bei dem von Steinpfeilern gestützten Lattenzaun das Tor erreichten. Es stand weit offen. Vielleicht hatte man es nie zugesperrt, denn die öffentliche Sicherheit im Land war damals derartig, dass ein verschlossenes Tor geradezu als eine feindliche Demonstration galt oder so viel bedeutete, dass die Besitzer nicht zu Hause sind. Eine kurze Lindenreihe folgte und dann der von vier Säulen getragene Vorbau.
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