Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
unter Verbot. Im Széklerland wiederum hatten gemäß dem alten Recht den Immobilienbesitz allein die jungen Männer unter sich geteilt, während die Mädchen am Erbe nicht beteiligt wurden. Man müsse also ein Gesetz verabschieden, das dem Kleinlandwirt die freiwillige Schaffung eines Fideikommisses ermögliche, und dieses habe man, sofern es eingetragen sei, gegen jede finanzielle Gefährdung zu schützen. Die Zukunft der übrigen Kinder aber, so meinte er, sei auf folgende Art zu sichern: Der Staat solle sich zur Pflicht bekennen, ihnen durch Ansiedlung zum Landbesitz zu verhelfen.
So weit das von Bálint Gesagte. Als Vortrag in einem juristischen Seminar oder als Teil einer Doktorarbeit wäre es für Fachleute vielleicht von einigem Wert gewesen. Doch hier auf dem Kongress, wo sich kaum jemand fand, der wusste, wo Kanada liegt oder wer Lorenz von Stein ist, begegnete es nur Interesselosigkeit. Auch Bálint selber spürte das, während er sprach, und er trug umso schlechter vor, je stärker die ihm entgegenströmende Langeweile ihre Wirkung tat.
Ein Einziger folgte ihm aufmerksam, der große Sámuel Barra. Er erhob sich denn auch, kaum dass Abády sich gesetzt hatte. Seine gewaltige Stimme erschallte durch den Saal. »Skandalös«, rief er aus, »dass jemand sich hier, im heiligen Tempel des Volks, die Kühnheit erlaubt, einen so üblen Antrag zu stellen. Dass die Székler eines ihrer Kinder mehr zu lieben hätten als die anderen, dass sie unter ihnen wählen, eines behalten und die übrigen verstoßen sollten!« Und nun wurde er selber ganz gerührt, als er über die Erhabenheit der väterlichen Liebe sprach, über die Eintracht der Geschwister sowie das Schicksal der Waisen und Witwen. Hernach griff er aus Bálints Rede einen Satz heraus. Das von ihm zitierte Gesetz über die Viertelparzelle der Leibeigenen verdrehte er, indem er behauptete, der Abgeordnete von Lélbánya habe also im Sinn, die Székler zu Leibeigenen zu machen. »Das Mittelalter möchte er in unser heutiges, liberales Jahrhundert zurückbringen, den Frondienst und womöglich selbst die Prügelstrafe! Nein, dies niemals! Und er brächte selbst das Mittelalter vergeblich zurück, denn die freien Székler waren auch damals frei, sie zu unterjochen gelang niemals, das schafften weder all die Armeen der Hölle noch der Baschibosuk, noch Caraffa 32 , dieser Satan!«
Caraffa hatte zwar mit Siebenbürgen nichts zu tun gehabt, und Baschibosuk ist die Bezeichnung für einen türkischen Gendarmen, aber die Namen klangen großartig, und als Barra sie dem Publikum entgegenbrüllte, ertönten gewaltige Hurrarufe und großer Applaus; viele eilten nach vorne, um ihm die Hand zu schütteln, zu gratulieren, ihn wegen seiner patriotischen Ansprache zu feiern.
Bálint saß verbittert auf seinem Platz. Er müsste antworten, ihn korrigieren, sagte er sich, doch er verzichtete darauf. Wozu auch? Es gibt hier doch niemanden, für den zu sprechen es sich lohnte. Da haben wir’s, selbst der Beauftragte des Ministers sagte nur das Allernotwendigste, und Bethlen, der eigentliche Initiant der Bewegung, hatte kein einziges Mal das Wort verlangt. Dennoch zögerte er ein wenig. Doch schon meldete sich ein anderer Redner.
Jópál hatte sich links in der Mitte des Podiums erhoben. Seine Stimme klang angenehm. Er sprach in kurzen Sätzen. Er beschrieb die schwere Lage der Köhler. Genau. Ruhig. Ernst. Seine Worte waren von fanatischer Kraft durchdrungen, trotzdem blieb er überaus sachlich. Er wünschte, dass man die Holzkohle direkt von ihnen kaufen sollte. Sie bildeten eine Organisation, dennoch wandten sich weder die staatlichen noch die privaten Fabrikbetriebe an sie, sodass sie gezwungen seien, die Fertigware für einen Spottpreis Vermittlern zu überlassen, die dafür dreimal mehr kassierten als jene, die sie hervorgebracht hätten und für die dieses Gewerbe die einzige Lebensgrundlage bilde.
Bálint hörte ihm aufmerksam zu. Kein Wort in Jópáls Vortrag deutete auf seine Vergangenheit als Wissenschaftler hin; hätte er davon nichts gewusst, hätte er meinen können, bloß einen besseren Arbeiter vor sich zu haben, der im Wald groß geworden war und wohl alle Kniffe der Kohlenbrennerei, sonst aber nichts kennt. Nachdem er seine Ausführungen beendet hatte, kam er langsam herunter zur Mitte, legte ehrerbietig sein Memorandum auf den Tisch des Vorsitzenden, und dann begab er sich zurück zu seinen Begleitern.
Was wäre geschehen, wenn Jópál seinerzeit sein
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