Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
dicke Tränen durch die gesenkten Wimpern, sie rollten über die Wangen der Frau hinab auf die Brust zu ihren zu Perlen geronnenen Geschwistern. Die Frau setzte ihren Weg fort, hinüber in den Saal. Sie ging zum Flügel und klappte den Deckel auf. Sie setzte sich. Ihre Finger liefen in langen Läufen über die Tasten. Der Hausherr kam herbei, stand neben ihr; er glaubte, Frau Berédy werde wie an den vorangegangenen Abenden einige Lieder vortragen.
»Oh, das wäre sehr lieb, wenn Sie uns etwas singen wollten.«
Die Frau indessen schüttelte bloß den Kopf und wandte das Gesicht ab. Ihre Hände liefen noch vier- oder fünfmal über die Tastatur, dann sprang sie auf.
»Ach nein! Es ist spät, gehen wir schlafen!« Und ein wenig spöttisch, doch mit einem traurigen Lächeln fügte sie hinzu, während sie Antal Szent-Györgyi ihre Hand zum Kuss reichte: »Ich gebe Ihnen in allem recht … was Sie von diesem Haus gesagt haben … ja … Sie haben recht.«
VI.
Magda und die kleine Lili, schon für die Nacht umgezogen, waren zu Klára herübergekommen. Sie schneiten bei ihr gerade nur herein, Frau Wárday war schließlich ihre Cousine. Sie wohnte neben ihnen, »rechts von der Kapelle« im Familienwohntrakt in ihrem einstigen Jungmädchenzimmer. Ihre Tante hatte darauf bestanden, sie nicht drüben, neben ihrem Mann, unterzubringen, sondern in ihrer unmittelbaren Nähe, um für Klára sorgen zu können, ohne sich in den kühlen Korridor hinausbegeben zu müssen. Sie waren in ihren leichten Morgenmänteln aus zwei benachbarten Türen im Korridor zu ihr hinübergeglitten. Beide wollten vertraulich tratschen, wozu der bewegte Tag noch kaum Gelegenheit geboten hatte. Magda wollte im Gespräch den eigenen Ärger gründlich loswerden.
Sie hatte seit langem einen Flirt mit Péter, Kláras Bruder. Und nun war die Schrecklichkeit geschehen, dass ihr Vater von den drei Kollonich-Söhnen nur einen einlud, und zwar nicht Péter, sondern Luika, den zweiten.
Auch Lili kam mit, auch sie wollte am Gespräch teilnehmen. Erstens darum, weil sie, wie sie meinte, nun kein Kind mehr war, man brauchte sie – anders als bisher – nicht zu überwachen, ob sie nun im Bett sei und ob sie schlafe. O nein, ihr als erwachsenem Mädchen musste es, wenn auch insgeheim, schon erlaubt sein, lang aufzubleiben. Zweitens würde ein bisschen Unterhaltung guttun. Worüber? Oh, über nichts Besonderes, nur so reden und etwas zu hören bekommen. Etwa darüber, wer dieser Abády eigentlich sei, der sich immer so ernst und … irgendwie anders … ja, anders benimmt als die anderen … merkwürdig, so merkwürdig!
Sie saßen nun bei Klára. Magda hatte sich aufs Bett gesetzt, auf dem die junge Frau in aufgetürmten Kissen lag, da sie bei ihrem Zustand nur so richtig zu atmen vermochte. Lili hatte sich am Fußende des Bettes in einem Fauteuil niedergelassen.
Das Alabaster-Nachtlämpchen hielt den Raum in Dämmerlicht. Die matten Farben der seidenen Mäntel verschmolzen mit dem gleichmäßig hellrosa Atlas der Bettdecke, der Möbel und der Wände. Aus Magdas Mund ergoss sich schon seit längerem ein Wortschwall:
»Wirklich nicht schön von Papa! Warum hat er Péter nicht eingeladen? Er hat gesagt, Luika sei schon zwei Jahre nicht da gewesen, weil er zusammen mit Toni in Oxford studiere! Ich habe ihm gesagt, das sei kein Grund, Péter sei älter und erst noch der bessere Schütze … Er meinte, dann brauche Luika umso mehr eine gute Jagd, damit er sich im Schießen verbessere … Ich sagte darauf, er solle eine Ausnahme machen und ihn als Neunten einladen … Darauf hieß es, es gebe nicht neun Plätze, nur acht … Darauf habe ich gesagt, was er gesagt hatte, dass dieser bebrillte Kerl, wie heißt er schon wieder, gar nichts tauge und dass Péter an der Flanke sehr gut wäre … Darauf sagte er, dass man einen Gast nicht an der Flanke plazieren dürfe … Da sagte ich, dass Péter ein enger Verwandter sei und dass ihm das nichts ausmache … Na, nicht wahr? Gelt, es hätte ihm nichts ausgemacht?«
Mit einer jähen Kopfbewegung, wie sie Vögel machen, blickte sie zuerst Klára, dann Lili und hernach wieder Klára an. Eine Antwort erwartete sie natürlich von ihr, nicht von Lili, die Péter Kollonich kaum kannte. Klára antwortete in schleppendem Tonfall. Ihre Stimme klang müde, ihre Gedanken schienen von weither zurückzukehren. »Ja, natürlich … warum … ja, das macht nichts aus …«
»Na, also!«, rief Magda triumphierend aus. »Ich weiß das
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