Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
Bruder wies sie sogleich in trockenem, hartem Ton zurecht: »Seine Majestät weiß gewiss am besten, was zu tun ist.«
Slawata benutzte rasch die Gelegenheit, sein Einverständnis mit dem Hausherrn zu bezeugen. Er malte aus, wie unhaltbar die Lage der Doppelmonarchie wäre, sollte sie sich gegen Deutschland wenden: »Sie wäre das erste Opfer des Kriegs. Was anderswo auch immer geschähe, in jener Region ist die Grenze nicht zu verteidigen, die tschechischen Gebiete, wo Skoda liegt, unser einziger Betrieb für die Herstellung von Kanonen, wären in einigen Tagen in deutscher Hand. Eine andere Verteidigungslinie als die mährische Hügellandschaft gibt es dort nicht. Das würde bedeuten, dass die böhmischen Länder zum Kriegsschauplatz würden.«
So weit hatte er völlig sachlich gesprochen. Erst in den letzten Sätzen klang irgendein persönlicher, tiefer gelagerter Protest mit. Er war nun einmal in erster Linie Tscheche. Einzig zwei Männer beteiligten sich nicht an dieser Konversation. Der eine war Wárday, der wortlos seine Zigarre rauchte, und da er vor sich hin lächelte, vielleicht daran dachte, welch süßes Erlebnis ihn in der kommenden Nacht erwartete. Der andere: Abády. Für ihn war alles neu, was er hier vernahm. Gewiss, die fraglichen Nachrichten in den Zeitungen hatte auch er gelesen. Bei der Lektüre waren in ihm, dem ehemaligen Diplomaten, ab und zu wohl ähnliche argwöhnische Gedanken lebendig geworden, wie sie hier so klar zur Diskussion standen, doch der Alltag der ungarischen Innenpolitik und ebenso seine Arbeit für die Genossenschaften, vorab aber seine Liebe hatten diese kurz auftauchenden Eindrücke gleich wieder verwischt.
Welch andere Welt das ist als bei uns in Siebenbürgen, dachte er jetzt. Kleine Kämpfe, kleine Streitigkeiten werden dort ausgetragen. Wichtig ist, was mit Péter Benő Balog, mit dem Obernotar von Maros-Torda, geschehen soll, weil er bei der Amtseinführung des Trabanten-Obergespans Hilfe geleistet hatte. Wegen solcher Dinge bringen es die Leute fertig, einander tödlich zu hassen, während in der Welt große Vorbereitungen getroffen, Fäden einer gewaltigen Tragödie gesponnen werden und eine rätselhafte Zukunft ihre schmerzliche Geburt ankündigt … Diese Menschen hier leben inmitten der Ereignisse, sie sind über alle Geschehnisse im Bild, sie erwähnen kaum, was sich wie begeben hat, denn alles ist ihnen bekannt, die Rede gilt nur den Folgen, darüber sprechen sie in leichtem, vertrautem Ton.
Und während er dies dachte, beobachtete er Antal Szent-Györgyi, der als hagere Gestalt vor dem stuckverzierten grünen Kachelofen stand. Über ihm hing, in die Wand halb eingelassen, ein anderthalb Klafter hohes Porträt, das Bild seines Urgroßvaters, Maria Theresias Palatin 48 . Er trug auf dem Bild das Gewand des Ordens vom Goldenen Vlies, das Ordenswappen an einer uralten, üppig geschmückten Goldkette, einen violett-purpurnen, reich bestickten Mantel und eine gepuderte Perücke. Und doch war es der gleiche Mann wie derjenige, der hier unten beim Marmorkamin wie alle anderen in schwarzem Smoking dastand und bei dem das Goldene Vlies in winziger Miniaturform nur an der Uhrenkette hing, auch dies nur darum, weil die Ordensregel vorschrieb, dass es ständig getragen werden müsse. Das gleiche schmale Gesicht, der gleiche selbstbewusst zurückhaltende Blick. Das bläulich ergrauende Haar machte ihn noch ähnlicher. Ein wahrer, typischer Vertreter der Dynastien, die, während Jahrhunderten in der Nähe des Hofes, seit dem Ende der Türkenkriege in der Gestaltung von Ungarns Schicksal eine bedeutende Rolle spielten, unsere Angelegenheiten aus europäischem Blickwinkel beurteilten und uns westliche Kultur vermittelten, dabei aber Ungarn blieben wie Ferenc Széchényi, György Festetics und die Esterházys.
Slawata hatte seinem Vortrag inzwischen eine beruhigende Wendung verliehen: »Iswolskij sprach nach Marienbad in Wien vor. Die Übereinstimmung in der mazedonischen Frage ist perfekt, sodass dieses ständige Pulverfass für längere Zeit keine Unannehmlichkeiten mehr verursachen kann.«
Er war eben dabei, dies zu erläuterten, und verbeugte sich sitzend von Zeit zu Zeit gegen den Hausherrn, als lege er ihm all dies zum Zeichen seiner Dankbarkeit vor die in Lackschuhen steckenden Füße, als der Butler erschien und an Abády herantrat. Leise meldete er: »Die gnädige Frau im kleinen Salon bittet Sie zu sich.«
Gräfin Élize saß auf ihrem gewohnten Platz zwischen
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