Verseucht - Endzeit-Thriller (German Edition)
war nur ein kleiner Ausschnitt der Welt, die man mir hinterlassen hatte.
9
Anfang Mai hatte ich den Punkt erreicht, an dem es mir schlicht reichte. Ich hatte es satt, mich für meine armselige Existenz aufzureiben. Hatte genug von all dieser Scheiße um mich herum, von all dem Stress und der ständig an mir nagenden Sorge ums Überleben. Denn wozu sollte ich überhaupt überleben? Wofür?
Deprimiert, lebensmüde und innerlich kaputt dachte ich darüber nach und kam zu dem für mich einzig vernünftigen Schluss: Ich würde mich umbringen. Also holte ich in einer düsteren Nacht ein Messer heraus und bereitete mich darauf vor, mir die Pulsadern aufzuschneiden.
Glauben Sie mir, ich tat das nicht leichtfertig. Aber ich war so erschöpft, dass ich so nicht weitermachen konnte. Um zu überleben, musste man sich wie ein Tier verhalten, und es war nicht meine Art, mich einen verfluchten Tag nach dem anderen wie ein Tier aufzuführen. Die Welt starb jeden Tag ein bisschen mehr, und meine Frau lebte nicht mehr. Warum sollte ich mich bemühen, weiterzumachen, weiterzuleben? Kriegstreiber und Politiker hatten der Welt alles Lebendige geraubt, es war vorbei. Der Amerikanische Traum hatte sich zu einem globalen Albtraum entwickelt, und all das, was ich geliebt hatte, gab es nicht mehr: den wunderbar grünen Hochsommer, den kühlen weißen Kuss des kalten Winters, all die Samstage mit ihren Baseballspielen, den 4. Juli, die frischen Herbsttage, die Kinderstimmen, die Weihnachtslieder sangen. Alles zusammengeknüllt und weggeworfen wie eine von Pisse durchtränkte Zeitung.
Übrig geblieben war nur ein Irrenhaus, das die ganze Welt umfasste.
Und auch das Wetter spielte völlig verrückt.
Abnormale Stürme fegten über den Globus.
Das Wasser war verseucht.
Die Ernten faulten auf den Feldern.
Und das, was von der Menschheit noch existierte, lief Amok, war dem Wahnsinn verfallen oder lag im Sterben.
Krankheiten, die wir in unserem aufgeklärten Zeitalter der Antibiotika in Amerika für längst ausgestorben gehalten hatten, klopften erneut an die Tür und begehrten mit vom Tode gezeichneten Wangen Einlass: Cholera, Typhus, Beulenpest, Diphterie, ansteckende Influenza. Ein Dutzend mutierte Krankheitsarten, die man nicht mal mehr genau identifizieren konnte.
Die Wolken, über uns hinwegfegende Sandstürme und der Regen brachten tödlichen radioaktiven Fallout mit sich.
Ratten, Fliegen, Moskitos und jede vorstellbare – oder bis dato unvorstellbare – Art von Geschmeiß vermehrten sich in unglaublicher Zahl.
Auf den Straßen randalierten die Banden, plünderten, vergewaltigten, töteten.
Zwischen der Bürgermiliz und der Armee kam es dauernd zu blutigen Zusammenstößen.
Auf den Gehwegen stapelten sich die Leichen.
Ganze Stadtviertel wurden »sterilisiert«, um die Ausbreitung von Krankheiten einzudämmen.
Ständig verdüsterte der schwarze Rauch, der von den brennenden Leichengruben aufstieg, den Himmel.
Das war das Erbe unserer Nation, unserer Welt, mit dem sich die Überlebenden herumzuschlagen hatten.
Als die Fernseh- und Rundfunkstationen noch sendeten und das Internet noch funktionierte, sah und hörte ich all das, und es machte mich genauso krank wie alle anderen in meiner Umgebung. Es flößte mir Angst ein, furchtbare Angst, aber ich schob es, innerlich aufbegehrend, in irgendeinen dunklen Winkel meiner Seele ab.
Und als jede Massenkommunikation zusammenbrach, alle Massenmedien den Betrieb einstellten ... Von meinem Fenster aus konnte ich ja mit eigenen Augen sehen, was draußen, auf den Straßen, vor sich ging. Es hatte keinen Sinn mehr, ums Überleben zu kämpfen. Keinen Sinn, mitzuerleben, was binnen eines Jahres oder Jahrzehnts geschehen würde. Jede Zivilisation war ausgelöscht. Es war genau das eingetreten, was man stets von den Folgen eines Atomkriegs behauptet hatte: Binnen fünf Minuten waren wir vom Zeitalter der Raumfahrt in die Steinzeit zurückgefallen.
Ich wollte nicht sehen, was als Nächstes passieren würde.
Da saß ich also, einsam und allein, vom Leben geschlagen und innerlich vollkommen leer, und presste ein Messer an mein Handgelenk. Doch während ich drauf und dran war, mir die Pulsadern zu öffnen, hörte ich ein zischendes Geräusch. Es klang so, als hätte jemand ein Gasventil aufgedreht. Und eine Stimme, eine klare, gebieterische Stimme in meinem Ohr fragte mich: »Willst du leben?«
Als Erstes ließ ich das Messer fallen, als Zweites glitt ich so vom Stuhl, als wären meine
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