Verseucht - Endzeit-Thriller (German Edition)
sich wie ein Vorhang vor unsere Augen legte. Aber es kamen nicht nur Tropfen herunter, sondern auch seltsame Klumpen und Brocken, die ringsum aufschlugen und sich danach auf der Straße verteilten. Außerdem verbreitete dieser Platzregen, der mehr als zehn Minuten anhielt, einen ätzenden Gestank, der fürchterlich in die Schleimhäute stach. Doch auch das legte sich mit der Zeit. Nach und nach trocknete die Flüssigkeit auf den Straßen und hinterließ nur die klebrige rote Schicht, die wir schon am Morgen bemerkt hatten.
Als ich näher hinsah, stellte ich fest, dass die Straße vor uns mit Knochen übersät war, mit ziemlich kleinen Knochen, die meiner Meinung nach von Tieren stammen mussten. Vor dem Schauer hatten sie eindeutig noch nicht hier gelegen.
»Es hat Blut und Knochen geregnet!«, staunte Specs.
»Kann kein Blut sein«, widersprach ich. »Das ist doch absurd. Muss saurer Regen oder so was sein.«
»Ihr habt beide recht«, warf Sean ein.
Wir sahen ihn verblüfft an.
»Ihr habt mich schon richtig verstanden. Dieser Mist enthält Säure, und wenn sie euch im Freien erwischt, frisst sie sich durch eure Schuhsohlen und verätzt eure Haut. Aber das meiste davon besteht aus Blut und Fleischabfällen. In Cuyahoga gab es nämlich mal ein Schlachthaus. Früher haben sie ihre Abfälle direkt in den Fluss geleitet, der war im Sommer immer blutrot. Doch dann hat die Umweltbehörde die Leute gezwungen, den ganzen Mist vorschriftsgemäß zu entsorgen. Also haben sie zwei riesige Stahltanks gebaut, 15 Meter tiefe und 18 Meter breite Entsorgungstanks. Und da haben sie alles hineingepumpt: Blut, Knochen, Fett und was sonst noch anfiel. Das ganze Zeug sollte sich dann in der Säure auflösen ...«
Sean erzählte uns, dass die Tanks nicht überdacht wurden, weil die Flüssigkeit verdampfen sollte. Und als die Welt in Stücke fiel, standen diese beiden Tanks, prall gefüllt mit Knochen, Fleischbrocken und Säure, immer noch offen in der Gegend herum. Er war sich nicht ganz sicher, nahm jedoch an, dass sich hin und wieder so etwas wie ein Wirbelsturm über den Großen Seen zusammenbraute, der dann den Fluss entlangfegte und alles mitnahm, das nicht fest verankert oder festgezurrt war. Aus unbekannten Gründen sog er fast jedes Mal auch fast alles auf, was sich in den beiden Tanks befand, rührte darin wie in großen Kesseln herum und beförderte den Bodensatz nach oben. Und diese Tanks trockneten nie aus, da der Rote Regen sie ständig wieder auffüllte – ein blutiger Kreislauf.
»Ich hab diese Tanks mit eigenen Augen gesehen«, fuhr er fort. »Man kann sie meilenweit riechen. Gut möglich, dass es auf dem Betriebsgelände noch weitere, kleinere Tanks voller Blut und Abfall gibt, nur werden die wohl von der Schwerkraft am Boden gehalten. Früher oder später werden die offenen Entsorgungstanks wohl austrocknen – denen wird ja irgendwann der Nachschub ausgehen –, aber bisher ist noch kein Ende in Sicht.«
Rauchend und ins Gespräch vertieft blieben wir unter dem Vordach stehen, denn Sean sagte, wir müssten warten, bis das Wasser ganz verdunstet sei, sonst würde der saure Regen Löcher in unsere Stiefel fressen. Es wurde uns nicht langweilig, denn Sean unterhielt uns mit Geschichten aus seinem Rockerleben. Er war ein Sergeant der Warlocks gewesen, einer Motorradgang, die von New Jersey aus operierte. Der Titel »Sergeant« bedeutete, dass er das »vollstreckte«, was sein Club befahl. In diesem Job hatte er Gegner der Gang nicht nur zusammengeschlagen, sondern auch getötet. Hinten auf seiner Bikerweste prangte ein flammender Totenschädel. Und darüber die Schrift
WARLOCKS MC
BAYONNE, NEW JERSEY
»Bist ganz schön weit weg von Bayonne«, bemerkte ich.
»Tja, Bruder. Ehe diese verdammten Bombardierungen begannen, hat mein Club mich in diese Gegend geschickt, um einige geschäftliche Dinge ein für alle Mal zu regeln – war ja mein Job. Das sind Dinge, die nur den Club was angehen. Aber da’s ja kein Gesetz, keine Polizei und keine Rockerclubs mehr gibt, kann ich’s euch ruhig erzählen. Hier in Cleveland existierte damals ein Charter der Hells Angels, mitsamt Clubhaus. Einer von diesen Angels – Ray Coombs, aber wir nannten ihn Rattenköder – wurde umgebracht. Ein paar Killer von den Blood Brothers haben ihn in Newark kaltgemacht. Die Blood Brothers waren nichts als mordlüsternes Geschmeiß und versuchten die Outlaws in Detroit dadurch zu beeindrucken, dass sie sich mit den Angels anlegten. Ihr
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