Verseucht - Endzeit-Thriller (German Edition)
das nicht ungefährlich ist. Na ja, ich konnte ihm einfach nichts abschlagen. Dabei ist es keine gute Idee, irgendwas zu essen, das mit irgendwelchen Giftstoffen versetzt ist, wie ihr alle wisst. Und diese großen schwarzen Ratten, oh je! Die hatten bestimmt alles Mögliche geschluckt. Sicher ist euch klar, was passiert, wenn man Mutanten verspeist, oder nicht?«
Es ging das Gerücht, dass man beim Verzehr von mutierten Lebewesen alles, was sie in sich hatten, absorbierte und deren Merkmale übernahm. Hatte angeblich was mit der DNA zu tun. Man ist ja, was man isst, wie man so schön sagt. Und wenn man jede Menge Ratten verspeist, deren Chromosomen verstrahlt sind, hat das wohl auch Auswirkungen auf die eigenen Gene. Mit der Zeit verwandelt man sich dann in etwas anderes – vermutlich ein rattenähnliches Lebewesen. Jedenfalls erzählte man sich dergleichen, aber es war, wie gesagt, nur ein Gerücht.
»Also gingen wir auf Rattenjagd«, setzte Texas Slim die Geschichte fort. »Und zwar nachts, was mir keineswegs gefiel. Vor nachtaktiven Lebewesen versteckte man sich besser, und in Morgantown gab es viele davon. Und wie es der Teufel wollte, stießen wir tatsächlich auf Ratten, schließlich wuselten ja genügend von ihnen herum. Doch wir hielten uns bedeckt, weil sie in Meuten auftraten. Schließlich sahen wir eine außergewöhnlich fette und außergewöhnlich hässliche Ratte, fast so groß wie ein Schwein, die einsam und allein an einer Leiche nagte. Genauer gesagt, kaute sie an einem menschlichen Arm wie an einem Hähnchenschenkel herum. So eine hatte ich noch nie gesehen: riesig, grau in allen Farbschattierungen und voller Falten. Statt Fell hatte sie nur jede Menge schwarzer Borsten, wie ein Stachelschwein. Sie sah uns sofort und quiekte wie eine Bache, die ihre Frischlinge schützen will. Ray leuchtete ihr mit der Taschenlampe direkt ins Gesicht. Mein Gott, war die hässlich! Kahl und schwabbelig. Ihre schwarzen Augen funkelten, aus dem Mund tropfte ihr der Sabber, und aus dem Hals wucherte ein Gewächs, das aussah wie ein unterentwickelter zweiter Kopf.«
Er hielt kurz inne. »Aber Ray, oh je! Ray war wirklich verrückt. Er rannte johlend und brüllend auf sie zu, während ich mir vor Angst in die Hosen schiss. Er hatte eine 45er Automatik dabei und feuerte drei Patronen auf dieses hässliche, Leichen fleddernde Monster ab. Aber die Ratte stürzte sich kreischend auf Ray und machte ihn vor meinen Augen fix und alle. Der arme Ray. Die Ratte nahm sich sofort sein Gesicht vor und begann zu nagen und zu schmatzen. Und da sah ich, dass sich ein Dutzend junge Ratten an ihrem Rücken festklammerten, alle unbehaart und so bleich wie Weißwürstchen. Und alle quiekten sie mit den winzigen rosafarbenen Saugmäulern. Da rannte ich los. Das Letzte, was ich von dem guten alten Ray Dong hörte, dem besten Chinesen, den ich je gekannt habe, war das Knirschen, als die Rattenmutter seinen Schädel zernagte.«
Nach diesen Worten herrschte kurz Stille. »Und was soll uns diese Geschichte sagen?«, fragte ich schließlich.
»Gar nichts. Wollte euch nur die Zeit vertreiben.«
Dieser gottverdammte Texas. Er fand niemals ein Ende. Wir hatten schon genügend Probleme, auch ohne seine Geschichten, die uns schlimmere Albträume bescherten, als wir sowieso schon hatten. Genau wie alle anderen wusste ich über die Ratten Bescheid, nur vermieden wir es, allzu oft an sie zu denken. Ich hätte Texas auch meinerseits von Ratten erzählen können – zum Beispiel von der Ratte, auf die Sean, Specs und ich in der Kanalisation von Cleveland gestoßen waren. Aber solche Dinge verdrängte ich lieber.
Auch Janie hielt nicht viel von solchen Horrorgeschichten, zumal viele davon in der letzten Zeit Wirklichkeit geworden waren. Janie saß nur da und starrte Texas Slim an. Ich spürte, wie sie allmählich in Rage geriet und drauf und dran war, ihm die Leviten zu lesen.
Aber dazu kam es nicht mehr.
Denn von tief unten, aus der Welt der schleichenden Schatten, drang ein Geräusch zu uns herauf, das ihr die Lippen versiegelte.
12
Es war ein lautes Dröhnen oder Heulen, das von den Mauern widerhallte und immer weiter anstieg, fast wie die Sirenen bei einem Fliegeralarm. Zugleich erinnerte mich das Geräusch an einen urzeitlichen Schrei. Jedenfalls fuhr es mir durch sämtliche Knochen und ließ sogar die Fenster rasseln.
In den Nächten hatten wir schon viele seltsame Laute vernommen, doch niemals einen wie diesen. Das Heulen löste
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