Versprechen eines Sommers
spielen“, sagte er. „Ich habe einen Termin bei Greenwich und Rector.“
„Oh. Ist es was … Meine Güte, ich sollte mir mal zuhören. Ich bin ja fürchterlich. Total neugierig.“
„Das ist mein Broker.“
Sie musste überrascht ausgesehen haben, denn er lachte unterdrückt. „Sogar hinterwäldlerische Bauunternehmer haben Aktienfonds.“
„Ich wollte nicht …“
„Natürlich wolltest du. Und es ist okay. Jetzt geh, Olivia. Mach dir eine schöne Zeit mit deinem Vater.“
Er drehte sich vollständig zu ihr um, und wieder einmal war sie hingerissen von seinen blauen Augen, den dunklen Haaren, dem am Hals offenstehenden Hemd. Sie hätte schwören können, dass er sie küssen wollte. Es gab einen kurzen Moment der Anspannung, so viel mehr, was noch gesagt werden müsste, aber nicht jetzt. Sie löste den Sicherheitsgurt. Dann gab sie einem Impuls nach, beugte sich vor und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Tja, Mist, dachte sie. Sie wollte einen Kuss. In dem Moment, wo ihre Lippen seine warme Wange berührten und sie den Duft seines Aftershaves einatmete, wollte sie mehr als nur einen Wangenkuss.
„Fürs Glück“, sagte sie hastig und stieg schnell aus. Falls er noch etwas gesagt hatte, hörte sie es nicht mehr.
Sich des Blicks des Portiers sehr bewusst, stand sie auf dem Bürgersteig und sah Connor nach, der in Richtung Downtown fuhr. Zu seinem Broker. Es sollte sie nicht wundern, dass er in seinem Alter schon ein Portfolio hatte. Für jemanden, der ohne jegliche Sicherheit oder Kontrolle aufgewachsen war, war es vermutlich lebensnotwendig, die Kontrolle über seine Finanzen zu wahren. Seitdem sie ihn jeden Tag im Camp sah, fiel es ihr schwer sich vorzustellen, dass er ein komplett eigenes Leben führte, über das sie nichts wusste, und andere Kunden hatte, die sie nicht kannte. Nach allem, was sie wusste, hatte er vielleicht sogar eine Freundin – auch wenn ein Teil von ihr dann total am Boden zerstört wäre.
Wem wollte sie was vormachen? Alles von ihr wäre am Boden zerstört, wenn er eine Freundin hätte. Nein, das konnte nicht sein, sagte sie sich. Auf keinen Fall könnte er sie so ansehen, wie er es eben getan hatte, wenn er eine Freundin hätte. Die Hitze in seinem Blick wäre schon Betrug an ihr gewesen.
Sie schob ihre Handtasche zurecht, drehte sich um und betrat das Gebäude. „Miss Bellamy.“ Der Portier nickte ihr zu.
Ihr Vater war hier nach der Scheidung eingezogen. Als Kind hatte Olivia ab und zu hier übernachtet, meistens, nachdem sie ein Spiel der Yankees besucht hatten, in der Oper gewesen waren oder am nächsten Tag zu einer gemeinsamen Reise aufbrechen wollten. Aber generell war man schweigend übereingekommen, dass ihr Platz bei ihrer Mutter war, inmitten des Luxus ihrer Wohnung an der Fifth Avenue. Dort hatte sie alle ihre Sachen, inklusive ihrem Klavier, ihren geliebten Büchern und ihrer seelenverwandten Katze Degas. Trotzdem hatte ihr Vater sich Mühe gegeben, ihr einen Platz in seinem Leben zu schaffen. Sein schlichtes, modernes Apartment hatte ein kleines Zimmer nur für sie, in dem ein eingebauter Schreibtisch und ein Stockbett standen und ein weißer Teppich lag.
Sie ließ den Fahrstuhl links liegen und nahm die Treppen. Ihr Vater, der vom Portier über ihr Eintreffen informiert worden war, erwartete sie bereits an der Wohnungstür. Obwohl der Tag warm genug war, dass man die Fenster geöffnet lassen konnte, trug er eine leichte Strickjacke. Es war lustig, sie hatte ihn noch nie in einer Strickjacke gesehen. Sie ließ ihn älter aussehen. Olivia wollte an ihren Vater aber nicht als alten Mann denken. Bis vor sehr Kurzem war er für sie einfach „Dad“ gewesen. Jetzt aber machte sie sich Gedanken um ihn als Person mit all dem Drängen und den Leidenschaften und Motivationen, über die sie nie nachgedacht hatte. Was bewegte ihn? Er war ein erfolgreicher Anwalt, pflichtbewusster Sohn, hingebungsvoller Vater, aber was noch? Er hatte immer schreiben wollen. Das wusste sie, aber sie hatten nicht darüber gesprochen, was sie nun sehr bedauerte. Sie wünschte, sie würden über noch so viel mehr reden.
„Hey, Dad.“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihm einen Kuss auf die Wange zu geben.
„Wie geht es meiner Lieblingstochter?“, fragte er.
„Erstaunlich gut“, erwiderte sie. „Wenn man bedenkt, dass ich derzeit im Camp Kioga wohne. Dem Camp eine Komplettsanierung zu verpassen macht viel mehr Spaß als die Sommerferien dort zu verbringen.“
„Kann ich
Weitere Kostenlose Bücher