Versprechen eines Sommers
Sommer etwas Erstaunliches passiert. Er war ihr Freund geworden, ihr erster fester Freund, und sie war so schwindelerregend in ihn verliebt, dass sie nicht mehr schlafen oder essen oder denken konnte. Sie ging zu ihm hinüber und reichte Julian die Fledgling-Flagge. „Halt sie schön hoch, damit die Eltern sehen, wo sie ihre Kinder finden können.“
„Mein Dad kommt. Er kommt den ganzen Weg aus Italien, um mich abzuholen.“
„Das habe ich schon gehört. Ich finde das unglaublich cool von ihm“, sagte Lolly.
Stolz wie Oskar reckte Julian die Fahne hoch in die Luft und hielt seinen Blick fest auf die ankommenden Autos gerichtet.
„Kluger Schachzug“, sagte Connor zu ihr. „Ihm eine Aufgabe zu geben wird ihn mindestens eine ganze Minute beschäftigt halten.“
„Ich kann kaum glauben, dass er den Sommer unbeschadet überstanden hat“, sagte sie. Der Bungeesprung war nur der Anfang gewesen. Julian hatte Glück, einen großen Bruder zu haben, der klug war und sich um ihn kümmerte. Anstatt gegen die Faszination des Jungen mit großen Höhen anzugehen, hatte Connor Wege gefunden, sie in geordnete Bahnen zu lenken. Er hatte Julian und einige der anderen Camper mitgenommen, um die steilen weißen Klippen und Eishöhlen des Shawangunk’s Ridge zu erkunden, hatte ein Seil an einen Baum am See gebunden, von dem aus sie sich ins Wasser schwingen konnten, und war mit einer Gruppe zu dem höchsten Aussichtsturm der Ranger gewandert. Auf der gestrigen Abschiedsfeier hatte es sogar ein Bergabrennen mit Mountainbikes gegeben. Lolly wusste, dass sie die Freudenschreie von Julian niemals vergessen würde, die er bei seiner rasanten Abfahrt ausgestoßen hatte. Genauso wenig wie das stolze, liebevolle Grinsen auf Connors Gesicht, als er ihm zusah.
Eine Welle der Liebe zu ihm erfasste sie, und sie rückte näher an ihn heran und berührte wie zufällig seine Hand. „Das ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich das Ende des Sommers bedauere.“
„Ich habe den Abschied schon immer gehasst.“
Ramona Fisher kam auf sie zugerannt. „Da bist du ja, Lolly. Ich habe meiner Mom gesagt, dass ich nicht eher gehe, bevor ich dir Tschüss gesagt habe.“
Lolly breitete ihre Arme aus, und das Mädchen stürzte sich hinein. Es hatte sehr viel Zeit und Aufmerksamkeit bedurft, um Ramona über das herzzerreißende Heimweh hinwegzuhelfen, das sie zu Beginn des Sommers beinahe gelähmt hatte. Lolly hatte das Mädchen überzeugen können, dass es normal war, die Menschen zu vermissen, die man liebte, aber dass ihre Abwesenheit kein Grund war, sich schrecklich zu fühlen.
Mit einem Seitenblick auf Connor fragte Lolly sich, ob sie in der Lage wäre, ihren eigenen Rat zu befolgen, wenn sie erst einmal auf dem College war. Alleine der Gedanke daran, Tage, Wochen oder gar Monate ohne ihn zu sein, jagte ihr einen eiskalten Schauer des Grauens über den Rücken.
„Das ist für dich“, sagte Ramona. „Damit du mich nicht vergisst.“ Sie reichte ihr ein selbst gemachtes Freundschaftsarmband aus bunten Farben und mit vielen Perlen. Ganz sorgfältig hatte sie die Initialen RF und LB in das Band hineingewoben.
„Oh, das ist fantastisch, Ramona.“ Lolly streckte ihre Hand aus, damit das Mädchen ihr das Band umbinden konnte. „Ich werde es mit Stolz tragen.“
„Und ich mach es“, sagte Ramona und zog den Knoten ein letztes Mal fest. „Ich werde mich im Schwimmteam von Nyack anmelden.“
„Wow, da haben die aber ganz schönes Glück, dich zu kriegen“, sagte Lolly.
Pfeifen trillerten und Autohupen erklangen, und alle beeilten sich, die Kinder zusammenzusuchen und sie in die wartenden Autos oder in den Bus zu verfrachten. Doch zwischen Lolly und Connor bestand ein unsichtbares Band. Ihre Verbindung war über die vergangenen Sommerwochen gewachsen und tiefer geworden, und jetzt war er für sie die ganze Welt. Sie hatte ihm gestanden, dass er der erste Junge war, den sie je geküsst hatte. „Das macht mich glücklich“, sagte er. „Ich mag es, dein Erster zu sein.“
Heute Nacht gäbe es ein anderes erstes Mal, das wussten sie beide. Sie dachte an ihre Pläne und spürte das Ziehen dieses unsichtbaren Bandes. Er musste es auch gefühlt haben, denn obwohl er inmitten der Jungen steckte und half, das Gepäck im Bus zu verstauen, hielt er in genau diesem Moment inne, drehte sich um und schaute sie an. Sie tauschten einen kurzen, verschwörerischen Blick und machten sich dann wieder an ihre Arbeit.
„Papa! Da ist mein Papa!“
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