Versprechen eines Sommers
alten Traum von ihr erinnerte. Sie hatte ihn ja selber beinahe schon vergessen. Als sie sich neu erfunden und ihr Leben um die neue Olivia Bellamy herum aufgebaut hatte, war der Wunsch, in einer Schule zu unterrichten, in dem ganzen Hin und Her untergegangen. „Ich habe eine Firma in Manhattan aufgemacht. Ich bin Immobilien-Aufhübscherin.“
Er sah sie verständnislos an.
„Wenn ein Haus oder eine Wohnung verkauft werden soll, ist es mein Job, es so ansprechend wie möglich aussehen zu lassen. Normalerweise gehört es dazu, aufzuräumen, die Wände in frischen Farben zu streichen, die Möbel neu zu arrangieren oder gar neue Möbel zu besorgen.“
„Und dafür bezahlen dich die Leute?“
„Du wärst überrascht. Ich zeige dir, was ich meine.“ Sie ging voran zurück zum Speisesaal, denn sie wusste, der beste Weg, seine Skepsis zu überwinden, war, es ihm zu zeigen. Im Speisesaal stellte sie sich an einen Ecktisch in der Nähe des Fensters. „Hilf mir mal, den anders hinzustellen. Wir wollen ihn so drehen, dass er das einfallende Morgenlicht auffängt.“ Sie schüttelte eine alte Wachstuchtischdecke aus, die sie in einem Regal gefunden hatte. „Ich versuche, Sachen einzusetzen, die den Besitzern gehören, weil das jedem Haus die nötige Authentizität verleiht. Manchmal miete ich auch Möbel und Accessoires. Diesen Sommer halte ich meine Augen nach geflochtener Weide und Möbeln im Adirondack-Stil offen. Ich besuche viele Flohmärkte und Räumungsverkäufe.“ Bei dem Gedanken an die antike Tansu-Truhe, die sie für Rands Wohnung gemietet hatte, wurde ihr ein wenig schwer ums Herz. Sie hatte als Sideboard so perfekt ausgesehen.
Sie breitete die Tischdecke ordentlich auf dem Tisch aus und fügte noch ein paar Kleinigkeiten hinzu – ein Einmachglas mit Wildblumen, die sie auf ihrem morgendlichen Spaziergang mit Barkis gepflückt hatte, ein paar Porzellanbecher und karierte Servietten.
„Es ist ein bisschen so wie ein Bühnenbild“, erklärte sie Connor. „Ich versuche, mir für jede Immobilie den perfekten Besitzer vorzustellen und erwecke dann seine oder ihre Fantasie zum Leben.“ Sie faltete die Zeitung von gestern zusammen und legte sie ebenfalls auf den Tisch. „Vor gar nicht langer Zeit habe ich an einem Objekt in Greenburgh gearbeitet und hatte diese Vision, dass ein Spieler der Nicks es kaufen würde. Es hatte vier Meter hohe Decken, und überhaupt war alles an dem Haus überlebensgroß. Also habe ich es so eingerichtet, als wenn es einem erfolgreichen Sportler gehörte.“
„Und?“
„Kwami Gilmer hat es noch in der Woche gekauft, in der es auf den Markt kam.“ Sie kletterte auf einen Stuhl und ließ die Vorhänge herunter. Der Stoff war dünn und brüchig vom Alter, und als sie an der Kordel zog, stieg eine Staubwolke auf und brachte Olivia zum Niesen.
„Vorsichtig“, sagte Connor. „Der Stuhl ist nicht sonderlich stabil.“ Er stand in der Nähe, bereit, sie jederzeit aufzufangen, sollte sie fallen.
Olivia räusperte sich. Sie war sich der Shorts und des Tanktops, das sie trug, nur zu bewusst. „Alles gut. Und danke, aber normalerweise muss ich nicht öfter als einmal am Tag gerettet werden.“ Ganz vorsichtig kletterte sie vom Stuhl herunter und ignorierte seine ritterlich dargebotene Hand. Dann stellte sie den Stuhl wieder ordentlich hin, richtete die Vorhänge und wartete, bis der Staub sich gelegt hatte. Das Arrangement glich jetzt einem Tisch in einem Café mit Blick auf den See. Vintage Poster, dachte sie. Catskill-Poster aus der guten alten Zeit würden die Sehnsucht nach der Süße längst vergangener Sommer wecken. „Okay“, sagte sie. „Du verstehst, was ich meine?“
„Du entwirfst die Fantasien anderer Leute.“
„Ich schätze, so könnte man es sagen.“
„Wie steht es mit deinen eigenen?“
„Meine Fantasien?“ Sie versuchte, sich nicht zu verschlucken. „Darüber habe ich nie nachgedacht.“
Na, wenn das mal nicht gelogen ist, dachte sie. In ihrem Kopf existierte eine Fantasie, die so strahlend war wie der Himmel über den Bergen. Und die handelte nicht von dem sorgenlosen Luxusleben, das einige ihrer Freunde und Cousinen bevorzugten. Olivia träumte von einem großen Haus mit einer umlaufenden Veranda und knorrigen alten Rosenbüschen, einem Wintergarten und einem Musikzimmer, Keksen, die im alten Ofen buken und im Garten lachenden und spielenden Kindern. Und natürlich von einem Ehemann. Ein großer, strahlender Mann, der sie herumwirbeln und seine
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