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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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das hörenswert war, und seine Frau noch weniger. Doch darin lag keine besondere Schande, denn das war bei den meisten ihrer Besucher durchaus das gleiche, die fast alle mit der einen oder anderen mangelnden Fähigkeit, sich angenehm zu zeigen, zu kämpfen hatten – Mangel an Verstand, naturgegebenem oder ausgebildetem, Mangel an vornehmer Lebensart, Mangel an Geist oder Mangel an Temperament.
    Als sich die Damen nach dem Dinner in den Salon zurückzogen, war diese Armut ganz besonders deutlich, denn die Herren hatten immerhin einige Abwechslung in die Unterhaltung gebracht – mit Themen wie die der Politik, der Einfriedung von Land und des Zureitens von Pferden   –, doch das war dann vorbei, und nur noch ein Thema beschäftigte die Damen, bis der Kaffee gereicht wurde, und das war der Vergleich zwischen der Größe Harry Dashwoods und Lady Middletons zweitem Sohn William, die fast im gleichen Alter waren.
    Wären beide Kinder dortgewesen, hätte die Sache allzu leicht geklärt werden können, indem man sie sogleich gemessen hätte; aber da nur Harry anwesend war, beruhten die Aussagen auf beiden Seiten allein auf Vermutungen, und jede hatte das Recht, sich ihrer Meinung absolut sicher zu sein und sie immerzu zu wiederholen, sooft es ihr gefiel.
    Und so standen die Parteien:
    Die beiden Mütter entschieden sich – obgleich jede wirklich überzeugt war, daß ihr eigener Sohn der größte war – aus Höflichkeit zugunsten des jeweils anderen.
    Die beiden Großmütter, nicht weniger parteilich, doch aufrichtiger, traten gleichermaßen eifrig für ihre eigenen Abkömmlinge ein.
    Lucy, die mindestens ebenso darauf bedacht war, die eine Mutter wie die andere zu erfreuen, meinte, die Jungen wären beide bemerkenswert groß für ihr Alter, und sie könne sich nicht denken, daß es auch nur den allerkleinsten Unterschied zwischen ihnen geben könne; und Miss Steele war noch geschickter und sprach sich, so rasch sie konnte, für beide aus.
    |256| Elinor sah, nachdem sie einmal ihre Meinung zugunsten Williams abgegeben hatte – womit sie Mrs.   Ferrars beleidigte und Fanny noch mehr   –, keine Veranlassung, dies durch eine weitere Versicherung zu bekräftigen; und als Marianne nach ihrer Meinung gefragt wurde, beleidigte sie alle noch mehr, indem sie erklärte, daß sie nichts dazu sagen könne, da sie nie darüber nachgedacht habe.
    Bevor Elinor von Norland fortgezogen war, hatte sie für ihre Schwägerin ein sehr hübsches Paar Wandschirme bemalt, die gerade aufgezogen und gebracht worden waren und nun ihren augenblicklichen Salon schmückten; und diese Wandschirme fielen John Dashwood ins Auge, als er den anderen Herren in den Salon folgte, und er reichte sie eilfertig Colonel Brandon, damit er sie bewundere.
    »Diese Schirme hat meine ältere Schwester bemalt«, sagte er, »und sie werden Ihnen, als einem Mann von Geschmack, ganz gewiß gefallen. Ich weiß nicht, ob Sie jemals vorher etwas von ihren Arbeiten gesehen haben, aber es heißt allgemein, daß sie außerordentlich gut zeichnet.«
    Der Colonel bestritt zwar jeden Anspruch auf Kennerschaft, bewunderte die Wandschirme jedoch lebhaft, so wie er auch alles andere bewundert haben würde, was Miss Dashwood gemalt hatte; und da dies natürlich die Neugierde der anderen weckte, wurden sie zur allgemeinen Begutachtung herumgereicht. Mrs.   Ferrars, die nicht wußte, daß sie Elinors Werk waren, bat besonders darum, sie sich ansehen zu dürfen; und nachdem die Wandschirme zu Fannys Befriedigung Lady Middletons Beifall gefunden hatten, zeigte sie diese ihrer Mutter und informierte sie gleichzeitig taktvoll darüber, daß sie von Miss Dashwood bemalt worden seien.
    »Hm«, sagte Mrs.   Ferrars, »sehr hübsch«, und ohne sie überhaupt zu betrachten, gab sie ihrer Tochter die Wandschirme zurück.
    Vielleicht dachte Fanny einen Augenblick lang, daß ihre Mutter mit ihrer Unhöflichkeit nun doch zu weit ging, denn sie wurde ein wenig rot und sagte sofort darauf: »Sie sind sehr hübsch, Mama, nicht wahr?« Doch dann wiederum überkam |257| sie vermutlich die Furcht, daß ihre Worte zu höflich, zu ermunternd gewesen waren, und sie fügte gleich darauf, an ihre Mutter gewandt, hinzu: »Findest du nicht, daß sie etwas von Miss Mortons Stil haben? Sie malt in der Tat wunderbar. Wie hübsch die Landschaft geworden ist, die sie zuletzt gemalt hat!«
    »Wirklich sehr hübsch. Aber sie macht ja alles gut.«
    Das konnte Marianne nicht mehr ertragen. Sie war bereits

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