Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
ein paar Tagen in die Stadt. Leben Sie wohl.«
    Er hielt ihr seine Hand hin. Sie konnte ihm die ihre nicht verweigern; er drückte sie herzlich.
    »Und denken Sie jetzt wirklich etwas besser von mir?« fragte er, und indem er ihre Hand losließ, lehnte er sich an den Kaminsims, als habe er vergessen, daß er gehen wollte.
    Elinor versicherte es ihm – versicherte ihm, daß sie ihm verzeihe, ihn bemitleide und ihm alles Gute wünsche   –, zeigte |360| sogar Teilnahme für sein häusliches Glück – und fügte einen sanften Rat hinzu, wie er es durch sein Verhalten am besten fördern könne. Seine Antwort war nicht sehr ermutigend.
    »Was das betrifft, so muß ich mich, so gut es geht, durchs Leben schlagen. Häusliches Glück ist ausgeschlossen. Wenn ich jedoch daran glauben darf, daß Sie und die Ihren an meinem Schicksal und meinen Handlungen Anteil nehmen werden, dann ist dies vielleicht das Mittel   ... es läßt mich vielleicht auf der Hut sein   ... zumindest ist es vielleicht etwas, wofür es sich lohnt zu leben. Marianne ist allerdings für immer für mich verloren. Selbst wenn ich durch einen glücklichen Zufall wieder frei wäre   ...«
    Elinor unterbrach ihn mit einem Verweis.
    »Nun also«, erwiderte er, »noch einmal, leben Sie wohl. Ich werde nun gehen und in der Furcht vor einem bestimmten Ereignis leben.«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Die Hochzeit Ihrer Schwester.«
    »Das ist sehr unrecht von Ihnen. Marianne kann Ihnen niemals
mehr
verloren sein, als sie es jetzt ist.«
    »Aber jemand anders wird sie gewinnen. Und wenn dieser jemand gerade derjenige sein sollte, von dem ich es von allen anderen am wenigsten ertragen könnte   ... Aber ich will nicht länger bleiben und mich all Ihres mitfühlenden Wohlwollens berauben, indem ich zeige, daß ich am wenigsten vergeben kann, wo ich am meisten verletzt habe. Leben Sie wohl, Gott segne Sie!«
    Und mit diesen Worten stürzte er fast aus dem Zimmer.

|361| Kapitel 45
    Noch eine ganze Zeit, nachdem er fort war, sogar noch, nachdem das Räderrollen der Kutsche verhallt war, war Elinor so bedrückt von vielen auf sie einströmenden Gedanken ganz unterschiedlicher Art, die schließlich in eine allgemeine Traurigkeit mündeten, daß sie nicht einmal an ihre Schwester dachte.
    Willoughby – den sie noch vor einer halben Stunde als den nichtswürdigsten aller Männer verabscheut hatte – Willoughby, trotz all seiner Fehler, erweckte in ihr ein gewisses Mitleid für seine Leiden, die aus diesen Fehlern erwachsen waren und die sie veranlaßten, mit einer Sanftheit und einem Bedauern – die, wie sie sich bald selbst eingestand, mehr seinen Wünschen als seinen Verdiensten entsprachen   –, daran zu denken, daß er nun für immer von ihrer Familie getrennt war. Sie fühlte, daß sein Einfluß auf ihr Denken durch Umstände größer geworden war, die vom Standpunkt der Vernunft keine Bedeutung haben sollten – durch sein ungewöhnlich anziehendes Äußeres, seine offene, liebevolle, lebhafte Art, die an sich kein Verdienst waren, und durch seine noch immer leidenschaftliche Liebe zu Marianne, der nachzugeben ihn in gewissem Sinne sogar schuldig machte. Doch daß es so war, spürte sie lange, bevor sie seinen Einfluß nachlassen fühlte.
    Als sie schließlich zu der nichtsahnenden Marianne zurückkehrte, erwachte diese gerade, erfrischt von einem so langen, sanften Schlaf, wie Elinor es gehofft hatte. Elinors Herz war übervoll. Die Vergangenheit, die Gegenwart, die Zukunft   – Willoughbys Besuch, Marianne außer Gefahr und die erwartete Ankunft ihrer Mutter – das alles zusammen versetzte sie |362| in eine Erregung, die keine Anzeichen der Erschöpfung zuließ und sie nur fürchten ließ, sich bei ihrer Schwester damit zu verraten. Doch es war nur eine kurze Zeit, die sie in dieser Furcht verbringen mußte, denn eine halbe Stunde, nachdem Willoughby das Haus verlassen hatte, wurde sie erneut von dem Geräusch einer herannahenden Kutsche heruntergerufen. Brennend vor Ungeduld, ihre Mutter vor jedem Moment unnötiger, schrecklicher Ungewißheit zu bewahren, stürmte sie sofort in die Vorhalle und erreichte die Außentür gerade rechtzeitig, um sie beim Eintreten empfangen und stützen zu können.
    Mrs.   Dashwood, deren entsetzliche Angst, als sie sich dem Haus näherten, schon fast zu der Überzeugung geführt hatte, daß Marianne nicht mehr am Leben war, versagte die Stimme, um nach ihr zu fragen, versagte sogar die Stimme, um Elinor zu begrüßen;

Weitere Kostenlose Bücher