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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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doch diese wartete weder auf eine Frage noch auf einen Gruß, sondern verschaffte ihr sofort die beglückende Erleichterung. Und ihre Mutter, als sie es mit ihrer ganzen gewohnten Leidenschaft erfaßte, war augenblicklich ebenso überwältigt von ihrem Glück, wie sie es zuvor von ihrer Furcht gewesen war. Sie wurde, gestützt von ihrer Tochter und ihrem Freund, in das Empfangszimmer geleitet; und dort, während sie Freudentränen vergoß, noch immer nicht imstande zu sprechen, umarmte sie Elinor wieder und wieder, wandte sich abwechselnd auch an Colonel Brandon, um ihm die Hand zu drücken, mit einem Blick, der gleichzeitig ihre Dankbarkeit wie ihre Überzeugung ausdrückte, daß er mit ihr die Seligkeit des Augenblicks teilte. Er teilte sie, jedoch mit einer Sprachlosigkeit, die sogar noch größer war als die ihre.
    Sobald Mrs.   Dashwood ihre Fassung wiedererlangt hatte, war ihr erster Wunsch, Marianne zu sehen; und in zwei Minuten war sie bei ihrem geliebten Kind, das ihr noch teurer geworden war durch Abwesenheit, Unglück und Gefahr. Elinors Freude, als sie sah, was die beiden fühlten, als sie sich wiederhatten, wurde nur eingeschränkt von der Furcht, daß Marianne damit weiterer Schlaf geraubt würde; doch Mrs.   Dashwood |363| konnte ruhig sein, sogar vernünftig, wenn das Leben ihres Kindes auf dem Spiel stand; und Marianne, zufrieden in dem Bewußtsein, ihre Mutter in ihrer Nähe zu haben, und weil sie selbst zu schwach war zum Sprechen, ergab sich bereitwillig der Stille und Ruhe, die ihr alle Krankenpflegerinnen um sie her verordneten. Mrs.   Dashwood wollte unbedingt die ganze Nacht bei ihr aufsitzen, und Elinor fügte sich der dringenden Bitte ihrer Mutter und ging zu Bett. Doch die Ruhe, die eine völlig schlaflose Nacht und viele aufreibende Stunden der Angst und Sorge höchst notwendig machten, wollte sich durch ihr überreiztes Gemüt nicht einstellen. Willoughby, ›der arme Willoughby‹, wie sie sich nun gestattete, ihn zu nennen, beschäftigte ständig ihre Gedanken. Anfangs hatte sie nicht um alles in der Welt seine Verteidigung anhören mögen, und nun beschuldigte sie sich bald, ihn vorher so hart beurteilt zu haben, bald entband sie sich wieder davon. Doch ihr Versprechen, ihrer Schwester alles zu erzählen, quälte sie unaufhörlich. Sie fürchtete sich vor dieser Aufgabe, fürchtete die Wirkung, die es auf Marianne haben mochte, zweifelte, ob sie nach einer solchen Erklärung jemals mit einem anderen Mann glücklich werden könnte; und einen Augenblick lang wünschte sie, Willoughby wäre Witwer; doch dann, da sie an Colonel Brandon dachte, rügte sie sich, fühlte, daß der Lohn ihrer Schwester weit mehr
seinen
Leiden und
seiner
Beständigkeit als denen seines Rivalen zukam, und sie wünschte alles andere als den Tod von Mrs.   Willoughby.
    Mrs.   Dashwood war, schon bevor Colonel Brandon nach Barton kam, so unruhig geworden, daß der Schock, den sein Auftrag bei ihr auslöste, nicht mehr ganz so stark war; denn ihre Sorge um Marianne war so groß geworden, daß sie bereits beschlossen hatte, sich gerade an diesem Tag auf den Weg nach Cleveland zu machen, ohne auf weitere Nachrichten zu warten; und sie hatte ihre Reise schon vor seinem Eintreffen soweit geregelt, daß zu der Zeit seiner Ankunft jeden Augenblick die Careys erwartet wurden, um Margaret abzuholen, da ihre Mutter sie nicht an einen Ort mitnehmen wollte, wo die Gefahr einer Ansteckung bestand.
    |364| Marianne ging es von Tag zu Tag besser, und die strahlende Heiterkeit, die sich in Mrs.   Dashwoods Aussehen und Stimmung widerspiegelte, bewies, daß sie, wie sie immer wieder selbst von sich sagte, eine der glücklichsten Frauen der Welt war. So manches Mal, wenn Elinor dies von ihr hörte und den Beweis dafür sah, konnte sie nicht umhin, sich zu fragen, ob ihre Mutter noch jemals an Edward dachte. Doch der Überschwang ihrer Freude ließ Mrs.   Dashwood, die dem zurückhaltenden Bericht über ihre Enttäuschung vertraute, den Elinor ihr gesandt hatte, nur an Dinge denken, die ihre Freude noch erhöhen konnten. Marianne war ihr wiedergegeben, sie war einer Gefahr entronnen, zu der, wie es ihr nun allmählich klar wurde, ihr eigenes Fehlurteil bei der Ermutigung der unglücklichen Liebe zu Willoughby beigetragen hatte; und in ihrer Genesung fand sie noch eine weitere Quelle der Freude, von der Elinor nichts ahnte. Diese eröffnete sie ihr daher, sobald sich eine Gelegenheit für ein ungestörtes Gespräch zwischen

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