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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Bekanntschaft.
    »Nun, Marianne«, sagte Elinor, sobald er fort war, »für
einen
Vormittag hast du, denke ich, eine ganze Menge erreicht. Du hast Mr.   Willoughbys Meinung bereits in fast jeder wichtigen Angelegenheit in Erfahrung gebracht. Du weißt, was er über Cowper und Scott denkt; du bist sicher, daß er die Schönheiten ihrer Dichtungen schätzt, wie er es sollte, und er hat dir jede erdenkliche Versicherung gegeben, daß er Pope |57| nicht mehr bewundert, als angemessen ist. Aber wie werdet ihr eure Bekanntschaft lange aufrechterhalten können, wenn ihr jedes Gesprächsthema so rasch erledigt? Ihr werdet bald all eure Lieblingsthemen erschöpft haben. Ein weiteres Zusammensein wird genügen, um dir seine Ansichten über malerische Schönheit und zweite Ehen auseinanderzusetzen, und dann bleibt dir nichts mehr zu erkunden übrig   ...«
    »Elinor«, rief Marianne, »ist das freundlich? Ist das gerecht? Sind meine Ideen denn so dürftig? Aber ich verstehe, was du meinst. Ich bin zu ungezwungen, zu glücklich, zu freimütig gewesen. Ich habe mich vergangen gegen alle üblichen Vorstellungen von Schicklichkeit! Ich bin offen und aufrichtig gewesen, wo ich zurückhaltend, geistlos, lahm und hinterlistig hätte sein sollen. Hätte ich nur über das Wetter und die Straßen gesprochen, und hätte ich nur einmal in zehn Minuten geredet, wäre mir dieser Tadel erspart geblieben.«
    »Meine Liebe«, sagte ihre Mutter, »du mußt doch nicht gleich beleidigt sein – Elinor hat das doch nicht ernst gemeint. Ich würde sie selbst schelten, wenn sie imstande wäre, dir die Freude an deiner Unterhaltung mit unserem neuen Freund schmälern zu wollen.« Marianne war augenblicklich besänftigt.
    Willoughby seinerseits lieferte ihnen jeden Beweis seines Vergnügens an ihrer Bekanntschaft, den der offensichtliche Wunsch, diese zu vertiefen, bieten konnte. Sich nach Marianne zu erkundigen benutzte er anfangs als Vorwand; doch die Ermunterung zu weiteren Besuchen, die jeden Tag liebenswürdiger wurde, machte einen solchen Vorwand unnötig, noch ehe er durch Mariannes vollkommene Genesung seine Berechtigung verloren hatte. Sie war einige Tage lang an das Haus gefesselt, doch nie war eine solche Beschränkung weniger lästig gewesen. Willoughby war ein junger Mann von guten Fähigkeiten, einem raschen Vorstellungsvermögen, einem lebhaften Geist und offenen, einnehmenden Umgangsformen. Er war genau dazu geschaffen, Mariannes Herz zu gewinnen, denn mit all dem verband er nicht nur ein einnehmendes Äußeres, sondern auch eine natürliche Begeisterungsfähigkeit |58| , die nun durch ihr eigenes Beispiel geweckt und erhöht wurde und ihm ihre Zuneigung mehr als alles andere gewann.
    Seine Gesellschaft wurde für sie allmählich zu ihrem größten Vergnügen. Sie lasen, sie unterhielten sich und sangen zusammen. Seine musikalischen Talente waren beträchtlich; und er las mit der ganzen Empfindsamkeit und dem ganzen Feuer, an denen es Edward unglücklicherweise gefehlt hatte.
    In Mrs.   Dashwoods Augen war er ebenso fehlerlos wie in Mariannes; und auch Elinor sah nichts an ihm zu tadeln außer einer Neigung, die der ihrer Schwester sehr ähnlich war und diese besonders erfreute – nämlich bei jeder Gelegenheit zu deutlich zu sagen, was er dachte, ohne auf Personen oder Umstände Rücksicht zu nehmen. Indem er sich rasch seine Meinung über andere Leute bildete und sie zum besten gab, allgemeine Höflichkeit dem Vergnügen ungeteilter Aufmerksamkeit opferte, wo sein Herz beteiligt war, und allzu leicht die Formen gesellschaftlichen Anstands mißachtete, bewies er eine Gedankenlosigkeit, die Elinor nicht billigen konnte, trotz allem, was er und Marianne zu deren Verteidigung sagen konnten.
    Marianne erkannte nun, daß die Hoffnungslosigkeit, die sie mit sechzehneinhalb ergriffen hatte, jemals einem Mann zu begegnen, der ihren Vorstellungen von Vollkommenheit genügen konnte, vorschnell und ungerechtfertigt gewesen war. Willoughby verkörperte alles, was sie sich in jener unglücklichen Stunde ausgemalt und in allen heitereren Zeiten als geeignet angesehen hatte, sie zu fesseln; und sein Verhalten zeigte, daß er ebenso ernstlich darum bemüht wie auch fähig dazu war.
    Auch ihre Mutter, der wegen seiner Aussicht auf Reichtum kein berechnender Gedanke an eine Heirat der beiden gekommen war, wurde noch vor dem Ende der Woche veranlaßt, dies zu hoffen und zu erwarten und sich heimlich dazu zu beglückwünschen, zwei solche

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