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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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ja, ich sehe schon, wie es kommt«, sagte Sir John, »ich sehe schon, wie es kommt. Sie werden ihn sich jetzt angeln und überhaupt nicht an den armen Brandon denken.«
    »Das ist ein Ausdruck, Sir John, den ich überhaupt nicht mag«, sagte Marianne hitzig. »Ich verabscheue jede abgedroschene Redensart, die witzig sein soll; und ›sich einen Mann angeln‹ oder ›eine Eroberung machen‹ sind die widerwärtigsten von allen. Ihre Tendenz ist anstößig und gewöhnlich; und wenn sie auch vielleicht einmal als geistreich galten, so hat doch die Zeit längst ihren ganzen Sinngehalt zunichte gemacht.«
    Sir John verstand nicht viel von diesem Verweis; aber er lachte so herzlich, als hätte er ihn verstanden, und erwiderte dann: »Ja freilich, Sie werden genügend Eroberungen machen, darf ich wohl sagen, so oder so. Armer Brandon! Er ist schon ganz hingerissen, und er ist es durchaus wert, ihn sich zu angeln, das kann ich Ihnen sagen, trotz dieses ganzen Herumpurzelns und Knöchelverstauchens.«

|55| Kapitel 10
    Mariannes Retter, wie Margaret mit mehr Gewähltheit als Genauigkeit Willoughby bezeichnete, kam zeitig am nächsten Morgen zum Landhaus, um sich persönlich nach ihr zu erkundigen. Er wurde von Mrs.   Dashwood nicht nur sehr höflich, sondern mit einer Liebenswürdigkeit empfangen, wie sie ihr Sir Johns Bericht über ihn und ihre eigene Dankbarkeit eingaben; und alles, was während des Besuches gesprochen wurde, trug dazu bei, ihn von der Vernunft, der Vornehmheit, der gegenseitigen Zuneigung und der häuslichen Behaglichkeit der Familie zu überzeugen, in die der Zufall ihn nun eingeführt hatte. Um von ihrem persönlichen Charme überzeugt zu sein, hatte er keinen zweiten Besuch gebraucht. Miss Dashwood hatte einen zarten Teint, regelmäßige Züge und eine ungewöhnlich schöne Figur. Marianne war noch schöner. Ihre Gestalt war – obgleich nicht so vollkommen wie die ihrer Schwester – noch eindrucksvoller, da ihr ihre Größe zum Vorteil gereichte; und ihr Gesicht war so lieblich, daß der Wahrheit, wenn man sie in den üblichen Lobesphrasen ein schönes Mädchen nannte, weniger stark hohngesprochen wurde, als es gewöhnlich geschieht. Ihre Haut war sehr braun, ihr Teint außerordentlich leuchtend, und ihre Gesichtszüge waren vollkommen; ihr Lächeln war lieb und anziehend; und in ihren Augen, die sehr dunkel waren, lag so viel Leben, so viel Feuer und Enthusiasmus, daß man es kaum ohne Vergnügen sehen konnte. Vor Willoughby wurde ihr Ausdruck anfangs durch die Verlegenheit, die die Erinnerung an seine Hilfe hervorrief, zurückgehalten. Doch als das vorüberging, als sie sich wieder gefaßt hatte – als sie sah, daß er das tadellose Benehmen eines Gentleman mit |56| Freimütigkeit und Lebhaftigkeit vereinte, und vor allem als sie ihn erklären hörte, daß er Musik und Tanz leidenschaftlich liebe, schenkte sie ihm einen Blick, der so viel beifällige Zustimmung ausdrückte, daß ihr das für den Rest seines Besuches den größten Anteil seiner Unterhaltung sicherte.
    Man mußte nur irgendeine ihrer Lieblingsbeschäftigungen erwähnen, um sie ins Gespräch zu ziehen. Sie konnte nicht still sein, wenn solche Themen zur Sprache kamen, und sie kannte weder Scheu noch Zurückhaltung bei deren Erörterung. Sie entdeckten rasch, daß sie beide die gleiche Freude an Tanz und Musik hatten und daß dies aus einer allgemeinen Übereinstimmung des Urteils in allem, was diese beiden Dinge betraf, erwuchs. Dadurch ermutigt zu weiterem Erforschen seiner Ansichten, begann sie, ihn zu Büchern auszufragen; ihre Lieblingsschriftsteller wurden zur Sprache gebracht, und sie verweilte mit einer solchen Begeisterung dabei, daß jeder junge Mann von fünfundzwanzig in der Tat völlig gefühllos sein mußte, wenn er sich nicht augenblicklich zu der Vortrefflichkeit solcher Werke bekehren ließ, wie wenig er sie vorher auch beachtet haben mochte. Der Geschmack der beiden glich sich in bemerkenswerter Weise. Die gleichen Bücher, die gleichen Passagen wurden von jedem der beiden abgöttisch verehrt – und wenn man einmal verschiedener Meinung war oder ein Einwand geltend gemacht wurde, hielten sie nur solange stand, bis die Überzeugungskraft ihrer Argumente und der Glanz ihrer Augen entfaltet werden konnten. Er fügte sich all ihren Entscheidungen, ließ sich völlig von ihrer Begeisterung anstecken, und lange bevor sein Besuch endete, unterhielten sie sich mit der Vertrautheit einer bereits lange bestehenden

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