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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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solche Abneigung gegen ihn?«
    »Ich habe keine Abneigung gegen ihn, ich betrachte ihn im Gegenteil als einen sehr achtbaren Mann, der von jedermann ein gutes Wort bekommt und von niemand beachtet wird; der mehr Geld hat, als er ausgeben kann, mehr Zeit, als er zu nutzen weiß, und sich jedes Jahr zwei neue Mäntel kauft.«
    »Wo noch hinzuzufügen wäre«, rief Marianne, »daß er weder Begabungen noch Geschmack oder Elan besitzt. Daß sein Verstand ohne Brillanz ist, seine Gefühle ohne Leidenschaft und seine Stimme ohne Ausdruck.«
    »Ihr entscheidet über seine Unvollkommenheiten so pauschal«, erwiderte Elinor, »und so sehr auf Grund eurer eigenen Vorstellungen, daß das Lob, das ich ihm spenden kann, ziemlich kühl und schwach ist. Ich kann nur erklären, daß er ein vernünftiger Mensch ist, wohlerzogen und wohlinformiert, daß er ein sanftes Wesen und, wie ich glaube, ein liebevolles Herz hat.«
    »Miss Dashwood«, rief Willoughby, »Sie behandeln mich jetzt aber gar nicht freundlich. Sie versuchen, mich mit Vernunftgründen zu entwaffnen und mich gegen meinen Willen zu überzeugen. Aber das klappt nicht. Sie werden mich ebenso stur finden, wie Sie raffiniert sind. Ich habe drei unwiderlegbare Gründe, Colonel Brandon nicht zu mögen: Er hat mir mit Regen gedroht, als ich schönes Wetter wollte; er hat etwas an der Aufhängung meines Zweispänners auszusetzen gehabt, und ich konnte ihn nicht überzeugen, meine braune Stute zu kaufen. Wenn es Sie jedoch irgendwie befriedigt zu hören, daß ich seinen Charakter in anderer Hinsicht für untadelig halte, bin ich bereit, dies zuzugeben. Als Gegenleistung zu einem Bekenntnis, das mir einige Mühe bereiten mußte, können Sie mir nicht das Vorrecht versagen, ihn genausowenig wie immer zu mögen.«

|62| Kapitel 11
    Als Mrs.   Dashwood und ihre Töchter nach Devonshire kamen, hatten sie sich kaum vorgestellt, daß sich so viele Verpflichtungen ergeben würden, die ihre Zeit in Anspruch nahmen, wie es sich bald herausstellte, und daß sie so häufig eingeladen und ständig Besuch bekommen würden, was ihnen wenig freie Zeit für ernsthafte Beschäftigungen ließ. Doch so war es. Als Marianne wiederhergestellt war, wurden alle Pläne für Vergnügungen zu Hause und außerhalb, die Sir John davor gemacht hatte, ausgeführt. Die Hausbälle in Barton Park begannen nun; und Ausflüge zu Wasser wurden so oft geplant und durchgeführt, wie es das regnerische Oktoberwetter erlaubte. Bei jedem Ereignis dieser Art wurde Willoughby mit einbezogen; und die Ungezwungenheit und der familiäre Ton, die bei diesen Vergnügungen natürlicherweise herrschten, waren ganz dazu angetan, seiner Bekanntschaft mit den Dashwoods eine zunehmende Vertrautheit zu verleihen und ihm Gelegenheit zu geben, die Vorzüge Mariannes kennenzulernen und seine lebhafte Bewunderung für sie zum Ausdruck zu bringen; und er konnte sich in ihrem Verhalten ihm gegenüber ihrer deutlichsten Zuneigung versichern.
    Elinor überraschte dies keineswegs. Sie wünschte nur, daß es von den beiden weniger offen gezeigt würde, und ein paarmal wagte sie, Marianne nahezulegen, doch den Anstand einiger Selbstbeherrschung zu zeigen. Doch Marianne verabscheute jegliches Verheimlichen, wo Freimütigkeit keine wirkliche Schande bringen konnte; und Gefühle zurückhalten zu wollen, die an sich nicht tadelnswert waren, erschien ihr nicht nur als eine unnötige Mühe, sondern als eine schimpfliche Unterwerfung der Vernunft unter banale und |63| irrige Vorstellungen. Willoughby war der gleichen Meinung; und das Betragen der beiden war zu jeder Zeit eine Demonstration ihrer Ansichten.
    Wenn er anwesend war, hatte Marianne keine Augen für jemand anders. Alles, was er tat, war richtig. Alles, was er sagte, war geistreich. Wenn ihre Abende in Barton Park mit Kartenspielen beendet wurden, betrog er sich selbst und auch alle anderen, um ihr gute Karten zukommen zu lassen. Wenn Tanzen das Vergnügen des Abends bildete, waren sie die halbe Zeit Partner; und wenn sie für ein paar Tänze genötigt waren, sich zu trennen, achteten sie darauf, daß sie zusammenstanden, und sprachen kaum ein Wort mit irgend jemand anders. Ein solches Verhalten sorgte natürlich dafür, daß man sie gründlich aufzog. Aber Spott konnte sie nicht beschämen und schien sie kaum zu erzürnen.
    Mrs.   Dashwood nahm an allen ihren Gefühlen mit einer Wärme teil, die sie gar nicht daran denken ließ, diese übermäßige Zurschaustellung zu zügeln. Für sie

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