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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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dabeisaßen, ohne den Anspruch zu erheben, daran teilzuhaben.
    »John ist heute so in Stimmung!« sagte sie, als er Miss Steeles Taschentuch nahm und aus dem Fenster warf. »Er steckt voll übermütiger Streiche.«
    Und bald darauf, als der zweite Junge derselben Dame heftig in die Finger kniff, bemerkte sie liebevoll: »Wie ausgelassen William ist!«
    »Und das ist meine süße kleine Annamaria«, fügte sie hinzu, während sie ein kleines Mädchen von drei Jahren zärtlich liebkoste, das während der letzten zwei Minuten keinen Lärm gemacht hatte. »Sie ist immer so sanft und still – ein so ruhiges kleines Ding gibt es nicht noch einmal!«
    Doch unglücklicherweise kratzte bei diesen Umarmungen eine Haarnadel in der Frisur Ihrer Ladyschaft leicht den Hals des Kindes und rief bei diesem Muster an Sanftheit ein so heftiges Geschrei hervor, wie es kaum von einem erklärten Krakeeler übertroffen werden konnte. Die Bestürzung der Mutter war völlig unangemessen, doch der Schrecken und die Besorgnis der Misses Steele waren mindestens ebenso groß, und |136| es wurde von den dreien in einem so bedenklichen Notfall alles getan, was die Liebe ihnen eingeben und möglicherweise die heftigen Schmerzen der kleinen Leidenden lindern konnte. Sie saß auf dem Schoß der Mutter, die sie mit Küssen bedeckte, und eine der Misses Steele kniete vor ihr und badete ihre Wunde mit Lavendelwasser, während ihr die andere Süßigkeiten in den Mund stopfte. Bei einem solchen Lohn für ihre Tränen war das Kind zu gescheit, um mit dem Weinen aufzuhören. Sie schrie und schluchzte noch immer aus vollem Halse, stieß mit dem Fuß nach ihren beiden Brüdern, die sie streicheln wollten, und ihre ganzen vereinten Tröstungsversuche waren wirkungslos, bis sich Lady Middleton glücklicherweise daran erinnerte, daß bei einer Szene ähnlichen Kummers in der Woche davor für eine etwas verletzte Schläfe Aprikosenmarmelade erfolgreich angewendet worden war und sie das gleiche Mittel für diesen unglückseligen Kratzer vorschlug; und eine geringe Unterbrechung der Schreie der jungen Dame, als sie das hörte, gab ihnen Grund zu der Hoffnung, daß dies nicht zurückgewiesen würde. Ihre Mutter trug sie deshalb auf der Suche nach dieser Medizin auf dem Arm hinaus, und da es die beiden Jungen vorzogen, ihnen zu folgen, obgleich ihre Mutter sie dringend bat, dazubleiben, waren die vier jungen Damen plötzlich von einer Ruhe umgeben, die das Zimmer viele Stunden lang nicht erlebt hatte.
    »Die arme Kleine!« sagte Miss Steele, sobald sie fort waren, »es hätte schlimm ausgehen können.«
    »Aber ich wüßte kaum, wie«, rief Marianne, »es sei denn, unter gänzlich anderen Umständen. Aber das ist die übliche Art, Besorgnis zu vergrößern, wo es in Wirklichkeit gar keinen Grund zur Beunruhigung gibt.«
    »Was Lady Middleton doch für eine reizende Frau ist«, sagte Lucy Steele.
    Marianne schwieg; es war ihr unmöglich, etwas zu sagen, was sie nicht fühlte, wie geringfügig der Anlaß auch sein mochte; und Elinor fiel deshalb stets allein die Aufgabe des Lügens zu, wenn es die Höflichkeit erforderte. Und so zu |137| einer Meinung aufgefordert, tat sie ihr möglichstes, mit mehr Wärme von Lady Middleton zu sprechen, als sie empfand, wenngleich mit weit weniger als Miss Lucy.
    »Und Sir John auch«, rief die ältere Schwester, »was für ein charmanter Mann das ist!«
    Auch hier äußerte Miss Dashwood ihr Lob schlicht und angemessen, ohne in Begeisterung auszubrechen. Sie bemerkte lediglich, daß er absolut gutmütig und freundlich sei.
    »Und was für eine entzückende kleine Familie sie sind! Ich habe noch nie in meinem Leben so prächtige Kinder gesehen. Ich muß sagen, ich bin schon ganz vernarrt in sie, ich habe Kinder wirklich immer wahnsinnig gern.«
    »Das glaube ich«, sagte Elinor mit einem Lächeln, »nach dem, was ich vorhin gesehen habe.«
    »Mir scheint«, sagte Lucy, »Sie finden, daß die kleinen Middletons eher zu sehr verwöhnt sind; vielleicht sind sie es mehr als genug; aber das ist so natürlich bei Lady Middleton; und was mich betrifft, so liebe ich Kinder, die voller Leben sind; ich kann brave und ruhige Kinder nicht leiden.«
    »Ich gebe zu«, erwiderte Elinor, »daß ich niemals mit Abscheu an brave und ruhige Kinder denke, wenn ich in Barton Park bin.«
    Darauf folgte eine kurze Pause, die zuerst von Miss Steele unterbrochen wurde, die sehr gesprächig zu sein schien und jetzt ziemlich unvermittelt sagte: »Und wie

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