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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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sie in der Tat sehr angenehme Mädchen seien, was für Ihre Ladyschaft schon enthusiastische Bewunderung bedeutete. Sir Johns Vertrauen in sein eigenes Urteil stieg mit dieser lebhaften Lobpreisung, und er machte sich augenblicklich auf den Weg zum Landhaus, um den Misses Dashwood von der Ankunft der Misses Steele zu berichten und ihnen zu versichern, daß es die reizendsten Mädchen der Welt seien. Aus einem solchen Lob konnte man jedoch nicht viel schließen; Elinor wußte sehr wohl, daß man diesen reizendsten Mädchen der Welt in jedem Teil Englands und in jeder nur möglichen Variante von Gestalt, Gesicht, Charakter und Intelligenz begegnen konnte. Sir John wünschte, daß die ganze Familie augenblicklich nach Barton Park kommen und die Gäste begutachten sollte. Wohlwollender, menschenfreundlicher Mann! Er brachte es nicht fertig, selbst einen Cousin dritten Grades für sich allein zu behalten.
    »Kommen Sie gleich«, sagte er, »bitte – Sie müssen kommen – und ich sage, Sie werden kommen. Sie glauben gar nicht, wie sehr sie Ihnen gefallen werden. Lucy ist ungemein hübsch, so voll guter Laune und so liebenswürdig! Die Kinder sind schon alle um sie herum, als wäre sie eine alte Bekannte. Und die beiden möchten Sie unbedingt sehen, denn |134| sie haben in Exeter gehört, daß Sie die schönsten Geschöpfe der Welt sind; und ich habe ihnen gesagt, daß dies alles vollkommen richtig ist, und noch eine ganze Menge mehr. Sie werden bestimmt entzückt von ihnen sein. Sie haben die ganze Kutsche voll Spielzeug für die Kinder mitgebracht. Wie können Sie so eigensinnig sein und nicht kommen wollen! Sie sind doch gewissermaßen ihre Verwandten.
Sie
sind meine Cousinen, und die beiden sind Verwandte meiner Frau, also müssen Sie mit ihnen verwandt sein.«
    Doch Sir John konnte sich nicht durchsetzen. Er konnte ihnen lediglich das Versprechen abnötigen, in ein paar Tagen nach Barton Park zu kommen, und verließ sie dann voller Verwunderung über ihre Gleichgültigkeit, um nach Hause zurückzukehren und gegenüber den Misses Steele erneut ihre Reize zu rühmen, so wie er in Barton Cottage auch die der Misses Steele gerühmt hatte.
    Als der versprochene Besuch in Barton Park schließlich stattfand und ihnen diese jungen Damen vorgestellt wurden, fanden sie in der Erscheinung der älteren, die fast dreißig Jahre alt war und ein sehr gewöhnliches Gesicht hatte, das keine Klugheit verriet, nichts zu bewundern; doch der anderen, die nicht älter als zwei- oder dreiundzwanzig war, gestanden sie eine beachtliche Schönheit zu; sie hatte hübsche Gesichtszüge, einen durchdringenden, lebhaften Blick und ein gewandtes Auftreten, die ihrer Person, wenngleich keine wirkliche Eleganz oder Anmut, so doch Vornehmheit verliehen. Sie zeigten sich ganz besonders zuvorkommend, und Elinor gestand ihnen bald eine gewisse Intelligenz zu, als sie sah, mit welch beständigen und wohlüberlegten Aufmerksamkeiten sie sich bei Lady Middleton angenehm machten. Von ihren Kindern waren sie fortwährend hingerissen, priesen ihre Schönheit, buhlten um ihre Aufmerksamkeit und ertrugen geduldig all ihre Launen. Und die Zeit, die sie von den beharrlichen Forderungen, die diese Höflichkeitsgeste an sie stellte, erübrigen konnten, verbrachten sie damit, alles, was immer ihre Ladyschaft tat – wenn sie zufällig überhaupt etwas tat   –, zu bewundern, oder damit, Schnittmuster von irgendeinem |135| eleganten Kleid abzunehmen, in dem ihre Erscheinung sie am Tag zuvor in nicht enden wollendes Entzücken versetzt hatte. Zum Glück für jene, die mit solchen Schwachheiten schmeicheln wollen, ist eine verliebte Mutter, obgleich das gierigste aller menschlichen Wesen, wenn sie auf Lob für ihre Kinder aus ist, gleichzeitig auch das leichtgläubigste; ihre Ansprüche sind maßlos, aber sie schluckt alles; und die übertriebene Liebe der Misses Steele zu ihren Sprößlingen und ihre Geduld mit ihnen sah Lady Middleton somit ohne jede Überraschung und ohne Mißtrauen. Sie beobachtete mit mütterlicher Selbstzufriedenheit all die unverschämten Übergriffe und mutwilligen Streiche, denen sich ihre Verwandten aussetzten. Sie sah, wie die Kinder ihre Schärpen aufzogen, ihre Haare um die Ohren zerrten, ihre Handarbeitsbeutel durchstöberten und ihre Messer und Scheren stahlen, und hatte keinen Zweifel daran, daß dies ein wechselseitiges Vergnügen war. Ihre Verwunderung beschränkte sich lediglich darauf, daß Elinor und Marianne so gelassen

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