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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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kann mir durch nichts genommen werden, das weiß ich.«
    »Diese Überzeugung muß Ihnen alles bedeuten; und Mr.   Ferrars wird zweifellos gestärkt durch das gleiche Vertrauen in
Ihre
Liebe und Treue. Wenn Ihre gegenseitige Zuneigung nachgelassen hätte, wie es zwischen vielen Menschen unter den verschiedensten Umständen während einer Verlobungszeit von vier Jahren ganz natürlich sein würde, wäre Ihre Lage in der Tat bedauernswert.« Hier sah Lucy auf, doch Elinor gab gut acht, daß ihre Miene nichts ausdrückte, was ihren Worten etwas Verdächtiges verleihen könnte.
    »Edwards Liebe für mich«, sagte Lucy, »ist durch unsere lange, sehr lange Trennung, seit wir uns verlobten, auf eine ziemliche Probe gestellt worden, und sie hat diese so gut bestanden, daß es unverzeihlich wäre, sie jetzt anzuzweifeln. Ich kann wohl behaupten, daß er mir von Anfang an nicht einen Augenblick Grund zur Besorgnis gegeben hat.«
    |161| Elinor wußte kaum, ob sie lächeln oder seufzen sollte bei dieser Behauptung.
    Lucy fuhr fort: »Ich bin von Natur aus auch ziemlich eifersüchtig, und wo unsere Lebenslagen so verschieden sind, wo er sich soviel mehr in der großen Gesellschaft bewegt als ich und wo wir dauernd getrennt sind, war ich genügend mißtrauisch, um die Wahrheit augenblicklich herauszubekommen, wenn es bei unseren Treffen die kleinste Veränderung in seinem Verhalten mir gegenüber gegeben hätte, wenn er in einer gedrückten Stimmung gewesen wäre, die ich mir nicht hätte erklären können, oder wenn er über eine Dame mehr gesprochen hätte als über andere oder mir in irgendeiner Hinsicht in Longstaple weniger glücklich erschienen wäre als sonst. Ich will damit nicht sagen, daß ich im allgemeinen besonders wachsam oder scharfsichtig bin, aber in einem solchen Fall könnte man mich nicht täuschen.«
    All das, dachte Elinor, ist ja sehr hübsch, aber es kann keinen von uns beiden beeindrucken.
    »Aber was«, sagte sie nach einem kurzen Schweigen, »sind denn Ihre Aussichten? Oder gibt es nichts anderes für Sie, als auf Mrs.   Ferrars Tod zu warten, was doch ein äußerst trauriger und schrecklicher Gedanke wäre. Ist ihr Sohn denn entschlossen, sich damit abzufinden und all die vielen ermüdenden Jahre der Ungewißheit in Kauf zu nehmen, die für Sie damit verbunden sein können, statt lieber eine Zeitlang das Risiko ihres Mißfallens auf sich zu nehmen, indem er ihr die Wahrheit gesteht?«
    »Wenn wir nur sicher sein könnten, daß es nur eine Zeitlang wäre! Aber Mrs.   Ferrars ist eine sehr halsstarrige und stolze Frau, und in ihrem ersten Zornesausbruch, wenn sie die Wahrheit hörte, würde sie sehr wahrscheinlich alles Robert vermachen; und dieser Gedanke läßt mich um Edwards willen vor jeder Neigung zu übereilten Schritten zurückschrecken.«
    »Und auch um Ihretwillen, denn sonst würde Ihre Uneigennützigkeit jedes vernünftige Maß überschreiten.«
    Lucy sah Elinor wieder an und schwieg.
    |162| »Kennen Sie Mr.   Robert Ferrars?« fragte Elinor.
    »Überhaupt nicht – ich habe ihn nie gesehen; aber ich vermute, er ist seinem Bruder sehr unähnlich – albern und ein richtiger Geck.«
    »Ein richtiger Geck!« wiederholte Miss Steele, die diese Worte während einer plötzlichen Pause in Mariannes Spiel aufgeschnappt hatte. »Ah, Sie sprechen bestimmt über Ihre Lieblingskavaliere.«
    »Nein, Schwester«, rief Lucy, »da irrst du dich, unsere Lieblingskavaliere sind keine richtigen Gecken.«
    »Ich kann mich dafür verbürgen, daß Miss Dashwoods keiner ist«, sagte Mrs.   Jennings und lachte herzlich, »denn er ist einer der bescheidensten und wohlerzogensten jungen Männer, die mir je zu Gesicht gekommen sind. Aber was Lucy angeht, so ist sie ja ein so schlaues kleines Ding, daß nicht rauszubekommen ist, wen
sie
gern hat.«
    »Oh«, rief Miss Steele und sah vielsagend zu den beiden hin, »ich möchte behaupten, daß Lucys Kavalier ganz genauso bescheiden und wohlerzogen ist wie Miss Dashwoods.«
    Elinor errötete unwillkürlich. Lucy biß sich auf die Lippen und warf ihrer Schwester einen wütenden Blick zu. Eine Zeitlang schwiegen alle. Lucy beendete die Pause als erste und sagte mit leiserer Stimme, obwohl ihnen Marianne gerade mit einem großartigen Konzert einen machtvollen Schutz bot: »Ich will Ihnen offen erklären, was für ein Plan mir kürzlich in den Sinn gekommen ist, um zu einem Ziel zu gelangen; ja ich muß Sie sogar in das Geheimnis einweihen, denn Sie würden daran

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