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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Marianne schien sie kaum zu hören und entschwand bei Mrs.   Jennings’ Eintritt mit der kostbaren Karte.
    Dieses Ereignis hob Elinors Stimmung wieder; Mariannes gute Laune war damit jedoch vollkommen wiederhergestellt, nur war sie nun noch aufgeregter als früher. Von diesem Augenblick an fand sie keine Ruhe mehr; die Erwartung, ihn zu jeder Zeit sehen zu können, machte sie unfähig zu irgend etwas anderem. Und als am nächsten Morgen alle ausfuhren, bestand sie darauf, zu Hause zu bleiben.
    Elinor dachte die ganze Zeit an das, was sich während ihrer Abwesenheit in Berkeley Street ereignen mochte; doch ein |184| kurzer Blick auf ihre Schwester bei ihrer Rückkehr genügte, um ihr zu sagen, daß Willoughby kein zweites Mal dagewesen war. In dem Moment wurde gerade ein Billett hereingebracht und auf den Tisch gelegt.
    »Für mich!« rief Marianne, während sie eilig vortrat.
    »Nein, Ma’am, für meine Herrin.«
    Aber Marianne, nicht überzeugt, griff sofort nach dem Billett.
    »Es ist tatsächlich für Mrs.   Jennings, wie ärgerlich!«
    »Dann erwartest du also einen Brief?« fragte Elinor, unfähig, noch länger zu schweigen.
    »Ja, ein wenig – nicht sehr.«
    Nach einer kurzen Pause: »Du hast kein Vertrauen zu mir, Marianne.«
    »Das mußt du mir gerade vorwerfen, Elinor! Du, die du zu niemand Vertrauen hast!«
    »Ich!« erwiderte Elinor etwas verwirrt, »wirklich, Marianne, ich habe nichts zu erzählen.«
    »Ich auch nicht«, entgegnete Marianne mit Nachdruck, »wir sind also in der gleichen Lage. Wir haben beide nichts zu erzählen; du, weil du nichts preisgibst, und ich, weil ich nichts verberge.«
    Elinor, bedrückt durch diesen Vorwurf wegen ihrer Zurückhaltung, die sie nicht aufgeben durfte, wußte nicht, wie sie Marianne unter solchen Umständen zu größerer Offenheit drängen konnte.
    Bald darauf erschien Mrs.   Jennings, und als ihr das Billett gegeben wurde, las sie es vor. Es war von Lady Middleton, die ihre Ankunft in Conduit Street am Abend zuvor anzeigte und um den Besuch ihrer Mutter und ihrer Cousinen am folgenden Abend bat. Die Geschäfte Sir Johns und ihre eigene heftige Erkältung hinderten sie daran, selbst in Berkeley Street vorzusprechen. Die Einladung wurde angenommen. Doch als die vereinbarte Stunde herankam, hatte Elinor, so notwendig es für sie beide auch war, aus Höflichkeit gegenüber Mrs.   Jennings diese bei einem solchen Besuch zu begleiten, einige Schwierigkeiten, ihre Schwester zum Mitkommen zu überreden |185| ; denn Willoughby hatte sich noch immer nicht sehen lassen, und sie war weder geneigt, sich woanders zu vergnügen, noch das Risiko auf sich zu nehmen, daß er wieder in ihrer Abwesenheit kam.
    Nach diesem Abend war es Elinor klar, daß die Neigungen eines Menschen durch einen Wechsel des Aufenthaltsortes keine wesentlichen Änderungen erfahren; denn obgleich sich Sir John noch kaum richtig in der Stadt häuslich niedergelassen hatte, hatte er es schon fertiggebracht, beinahe zwanzig junge Leute um sich zu versammeln und sie mit einem Ball zu unterhalten. Dies war jedoch eine Sache, die Lady Middleton nicht billigte. Auf dem Lande war ein nicht im voraus geplanter Tanz durchaus zulässig; aber in London, wo der Ruf der Vornehmheit mehr Gewicht hatte und weniger leicht zu erlangen war, war es ein zu großes Risiko, es bloß wegen des Vergnügens von ein paar Mädchen bekanntwerden zu lassen, daß Lady Middleton einen kleinen Tanz mit acht oder neun Paaren, zwei Violinen und einem bloßen Imbiß veranstaltet hatte.
    Mr. und Mrs.   Palmer waren ebenfalls anwesend; der erstere, den sie seit ihrer Ankunft in der Stadt noch nicht gesehen hatten – da er sorgfältig darauf achtgab, jeden Anschein von Aufmerksamkeit gegenüber seiner Schwiegermutter zu vermeiden, und deshalb nie in ihre Nähe kam   –, deutete bei ihrem Eintreten mit keinem Zeichen an, daß er sie kannte. Er sah sie nur kurz an, scheinbar ohne zu wissen, wer sie waren, und bedachte Mrs.   Jennings lediglich mit einem Nicken vom anderen Ende des Raumes. Marianne sah sich nur kurz im Zimmer um; es genügte,
er
war nicht da – und sie setzte sich, weder gewillt, sich erfreuen zu lassen noch, Freude zu bereiten. Nachdem sie etwa eine Stunde dortgewesen waren, schlenderte Mr.   Palmer auf die Misses Dashwood zu, um seine Überraschung zum Ausdruck zu bringen, sie in der Stadt zu sehen, obgleich Colonel Brandon in seinem Hause zuerst von ihrer Ankunft erfahren und er selbst
etwas sehr Komisches
gesagt

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