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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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rechtsgültigen Bund miteinander vereinigt gewesen.«
    »Das glaube ich dir«, sagte Elinor, »aber unglücklicherweise hat er es nicht ebenso empfunden.«
    »Er
hat
es ebenso empfunden, Elinor – viele, viele Wochen lang hat er es so empfunden. Das weiß ich. Was ihn auch verändert haben mag (und nichts als die schwärzeste Kunst, die gegen mich verwendet wurde, kann das fertiggebracht haben), ich war ihm einmal so teuer, wie es sich mein Herz nur |205| wünschen konnte. Diese Haarlocke, die er jetzt so bereitwillig hergegeben hat, erbat er sich so flehentlich. Hättest du nur seinen Blick, sein Verhalten sehen und den Ausdruck seiner Stimme in jenem Augenblick hören können! Hast du den letzten Abend vergessen, als wir in Barton zusammen waren? Und auch den Morgen, an dem wir uns trennten! Als er mir sagte, daß viele Wochen vergehen können, bis wir uns wiedersehen – seine Verzweiflung   –, könnte ich denn jemals seine Verzweiflung vergessen!«
    Ein paar Augenblicke lang konnte sie nicht weitersprechen; doch als diese Gefühlsaufwallung vorüber war, fügte sie in festerem Ton hinzu: »Elinor, man hat mir grausam mitgespielt, aber es war nicht Willoughby.«
    »Liebste Marianne, wer sonst, als er selbst? Wer könnte ihn angestiftet haben?«
    »Die ganze Welt eher als sein eigenes Herz. Ich könnte eher glauben, daß sich alle Leute meiner Bekanntschaft verbündet haben, um mich in seiner Meinung zu vernichten, als zu glauben, daß er bei seinem Charakter einer solchen Grausamkeit fähig wäre. Diese Frau, von der er schreibt – wer immer sie sein mag   –, oder irgend jemand anders, kurz gesagt, alle außer dir, meine liebe Elinor, und Mama und Edward – können so grausam gewesen sein, Lügen über mich zu erzählen. Außer euch dreien, gibt es da ein Wesen in der Welt, dem ich nicht eher als Willoughby etwas Böses zutrauen würde, dessen Herz ich so gut kenne?«
    Elinor wollte nicht streiten und erwiderte nur: »Wer immer dein so verabscheuenswürdiger Feind gewesen sein mag, bringe ihn um seinen heimtückischen Triumph, meine liebe Schwester, indem du ihn sehen läßt, wie vortrefflich dich das Bewußtsein deiner eigenen Unschuld und guten Absichten stärkt. Es ist ein vernünftiger und lobenswerter Stolz, der einer solchen Bosheit widersteht.«
    »Nein, nein«, rief Marianne, »ein Elend wie das meine hat keinen Stolz. Es ist mir gleich, wer es weiß, daß ich unglücklich bin. Den Triumph, mich so zu sehen, kann jedermann haben. Ach Elinor, diejenigen, die nur wenig leiden, mögen |206| so stolz und unabhängig sein, wie sie wollen, mögen sich wehren gegen Beleidigungen und Demütigungen heimzahlen – aber ich kann es nicht. Ich muß mich meinen Gefühlen hingeben, muß unglücklich sein können – und wer imstande ist, sich daran zu weiden, soll es ruhig tun.«
    »Aber um unserer Mutter willen und um meinetwillen   ...«
    »...   würde ich mehr tun als für mich selbst. Aber glücklich erscheinen, wenn ich so elend bin – wer kann das verlangen?«
    Wieder schwiegen sie beide. Elinor ging in Gedanken versunken vom Kaminfeuer zum Fenster, vom Fenster zum Kaminfeuer, ohne sich bewußt zu sein, daß sie von dem einen Wärme empfing und durch das andere etwas wahrnehmen konnte; und Marianne, die am Fußende des Bettes saß, den Kopf gegen einen der Pfosten gelehnt, nahm erneut Willoughbys Brief in die Hand, und jeder Satz ließ sie schaudern, bis sie schließlich rief: »Es ist zuviel! O Willoughby, Willoughby, kann das von Ihnen sein! Es ist zu grausam – nichts kann Sie freisprechen. Elinor, nichts kann das tun. Was ihm auch gegen mich zu Ohren gekommen sein könnte – hätte er das nicht bezweifeln müssen? Hätte er mir nicht davon erzählen, mir die Möglichkeit geben müssen, meine Unschuld zu beweisen? ›Die Haarlocke‹ (wiederholte sie aus dem Brief), ›die Sie mir liebenswürdigerweise geschenkt haben‹ – das ist unverzeihlich. Willoughby, wo war Ihr Herz, als Sie diese Worte schrieben? Welch grausame Unverschämtheit! – Elinor, kann es dafür eine Rechtfertigung geben?«
    »Nein, Marianne, in keiner Weise.«
    »Und doch, diese Frau – wer weiß, welche List sie angewendet, wie lange sie das schon geplant und wie schlau ersonnen haben mag! – Wer ist sie? – Wer kann das sein? – Von wem habe ich ihn unter seinen weiblichen Bekannten jemals als jung und anziehend sprechen hören? Oh, von niemand, niemand – er sprach zu mir nur über mich selbst.«
    Wieder folgte eine

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