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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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schließlich den drei Briefen zu, die sie nun noch viel dringender zu lesen wünschte als zuvor, und überflog sie sogleich alle. Der erste – es war derjenige, den ihre Schwester ihm bei ihrer Ankunft in der Stadt gesandt hatte – lautete folgendermaßen:
    Berkeley Street, im Januar
    Wie werden Sie überrascht sein, Willoughby, wenn Sie diesen Brief erhalten! Und ich glaube, Sie werden noch etwas mehr als nur Überraschung empfinden, wenn Sie wissen, daß ich in der Stadt bin. Eine Gelegenheit, hierherzukommen, wenn auch mit Mrs.   Jennings, war eine Verlockung, der wir nicht widerstehen konnten. Ich wünschte, Sie würden dieses Billett rechtzeitig erhalten, um noch heute abend zu uns zu kommen, aber ich will nicht fest damit rechnen. Auf jeden Fall erwarte ich Sie morgen. Für den Augenblick, adieu.
    M.   D.
    Ihr zweiter Brief, am Morgen nach dem Tanz bei den Middletons geschrieben, hatte folgenden Wortlaut:
    Ich kann meine Enttäuschung, Sie vorgestern verfehlt zu haben, und auch meine Verwunderung darüber, daß ich keinerlei Antwort auf mein Billet erhalten habe, das ich |203| Ihnen vor mehr als einer Woche schickte, nicht in Worte fassen. Ich habe zu jeder Stunde des Tages erwartet, von Ihnen zu hören – und noch mehr, Sie zu sehen. Bitte kommen Sie sobald wie möglich und erklären Sie mir, warum ich das umsonst erwartet habe. Sie sollten das nächste Mal lieber früher kommen, da wir gewöhnlich um ein Uhr ausgehen. Wir waren gestern abend bei Lady Middleton, wo ein Tanz gegeben wurde. Mir wurde gesagt, daß Sie auch dazu eingeladen waren. Aber wie hätte ich das glauben sollen? Sie müßten sich sehr verändert haben, seit wir uns trennten, wenn Sie wirklich eingeladen und doch nicht dort waren. Aber ich will es als unmöglich annehmen und hoffe, sehr bald Ihre persönliche Versicherung zu erhalten, daß es sich anders verhielt.
    M.   D.
    Der Inhalt ihres letzten Briefes an ihn war der folgende:
    Wie soll ich Ihr Verhalten gestern abend verstehen, Willoughby? Ich fordere noch einmal eine Erklärung dafür. Ich war darauf eingestellt, Ihnen mit der Freude zu begegnen, die unsere Trennung ganz natürlich hervorrufen mußte, und mit der Ungezwungenheit, die mir unser vertrauter Umgang in Barton zu rechtfertigen schien. Und wie wurde ich zurückgewiesen! Ich habe eine schreckliche Nacht verbracht in dem Versuch, ein Verhalten zu entschuldigen, das kaum anders als beleidigend zu nennen ist; doch obgleich es mir noch nicht gelungen ist, irgendeine vernünftige Entschuldigung für Ihr Benehmen zu finden, bin ich durchaus bereit, Ihre Rechtfertigung dafür zu hören. Vielleicht hat man Ihnen etwas Falsches über mich berichtet oder Sie absichtlich in etwas getäuscht, was mich in Ihrer Meinung herabgesetzt hat. Sagen Sie mir, was es ist, erklären Sie mir, warum Sie so handelten, und ich werde zufrieden sein, weil ich dann imstande bin, Ihre Zweifel zu beseitigen. Es würde mich in der Tat bekümmern, wenn ich |204| schlecht von Ihnen denken müßte; aber wenn ich es tun muß, wenn ich begreifen muß, daß Sie nicht der sind, für den wir Sie bisher gehalten haben, daß Ihre ganze Freundschaft für uns alle unaufrichtig war, daß Ihr Verhalten mir gegenüber nur Täuschung war, dann sagen Sie es mir so bald wie möglich. Meine Gefühle befinden sich zur Zeit in einem Zustand schrecklicher Unschlüssigkeit; ich möchte Sie freisprechen, aber Gewißheit, wie immer sie aussieht, wird eine Erleichterung sein gegenüber dem, was ich jetzt leide. Wenn Ihre Gefühle für mich nicht mehr die gleichen sind wie früher, dann schicken Sie mir bitte meine Briefe und auch meine Haarlocke, die sich in Ihrem Besitz befindet, zurück.
    M.   D.
    Daß solche Briefe, so voller Liebe und Vertrauen, so beantwortet werden konnten, hätte Elinor, schon um Willoughbys willen, nicht glauben wollen. Aber daß sie
ihn
verurteilte, machte sie nicht blind gegenüber der Unschicklichkeit, daß sie überhaupt geschrieben worden waren; und sie grämte sich im stillen über Mariannes Unklugheit, solche freiwilligen Beweise der Zärtlichkeit zu geben – die durch nichts Vorangegangenes gerechtfertigt und durch das Geschehene hart bestraft worden waren   –, als Marianne, da sie sah, daß Elinor die Briefe zu Ende gelesen hatte, bemerkte, sie enthielten nur Dinge, die jede andere in der gleichen Lage auch geschrieben hätte.
    »Ich habe mich«, fügte sie hinzu, »mit ihm so feierlich verlobt gefühlt, als wären wir durch den strengsten

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